Der Tod fährt Riesenrad - Kneifl, E: Tod fährt Riesenrad
einem Heurigen, bei dem sie schon einmal gemeinsam ein paar schöne Stunden verbracht hatten.
Die neue Tramway fuhr vorbei an den großen Fabriken in Hernals. Monströse Schornsteine ragten in den dunklen Himmel. Der Lärm und die Geruchsbelästigung in dieser Vorstadt waren enorm. Als die Schwabenau-Werke in Sicht kamen, begann Gustav die Knie seiner hübschen Begleiterin zu streicheln. Der Waggon war fast leer. Nur ein Greis mit einem Sack voller Erdäpfel saß ein paar Sitzreihen vor ihnen. Er schien zu schlafen.
Die süße Theresa plapperte ununterbrochen, erzählte ihm von ihren letzten Engagements, von ihren drei Geschwistern und von einem flotten Hütchen, das sie im Warenhaus Gerngross gesehen hatte.
Gustav verstand den kleinen Wink und nahm sich vor, ihr dieses kecke Hütchen demnächst zu kau-fen.
Theresa kam vom Hundertsten ins Tausendste. Er schaltete ab, hörte ihr nicht mehr zu, bemühte sich um einen despektierlichen Gesichtsausdruck, während er überlegte, wo sie es draußen in Dornbach möglichst ungestört miteinander treiben könnten.
Der Heurige lag an einem kleinen, mit Akazien bepflanzten Platzl. Tische und Stühle vor der Tür waren verwaist. Auch drinnen war nicht mehr viel los. Ein Akkordeonspieler unterhielt die letzten Gäste mit weinseligen Wienerliedern. Das trübe gelbliche Licht einer Gaslampe schmeichelte den müden Gesichtern der Leute.
Nachdem sie zusammen einen halben Liter Weißen getrunken und sich ihre Knie und Hände unterm Tisch mehrmals berührt hatten, unternahmen sie einen kleinen Spaziergang in den Weingärten.
Der Mond schien helle, die Sterne funkelten, die Luft war mild und voll süßlicher Düfte. Theresa machte nicht viele Umstände. Ein paar zärtliche Handgriffe und schon war sie willig. Sie vergnügten sich unter den Rebstöcken. Theresa hüpfte quirlig auf seinem Schoß auf und ab und quetschte mit ihrer Linken ein bisschen seine Eier. Nach fünf Minuten war alles vorbei.
Kurz vor Mitternacht brachte Gustav sie in einem Fiaker heim in die öde vierstöckige Zinskaserne in Ottakring, nahe der Gürtelstraße, wo sie nach wie vor in einer Zimmer-Kabinett-Wohnung mit ihren Eltern und ihren jüngeren Geschwistern wohnte.
In melancholischer Stimmung ließ er sich nach Hause fahren. Er hatte gehofft, Theresa könnte ihm helfen, Margarete zu vergessen. Nach dem kurzen Vergnügen mit der süßen Tänzerin begehrte er Margarete nur noch mehr. Während Theresa rittlings auf ihm gesessen war und vor Lust gequietscht hatte, waren Margaretes schöne ebenmäßige Züge vor seinen Augen aufgetaucht. Die Gedanken an sie ließen ihn nicht los.
Seine Tante war noch wach. Als er auf die Hofstallungen zuging, sah er das Licht der Gaslampe mit dem hellgelben Zylinder in ihrem Fenster. Es war das einzig beleuchtete Fenster in dem ganzen Areal. Er wunderte sich, dass sie nach wie vor keine Brille brauchte.
Gustav ging schnurstracks in ihr Zimmer und erzählte ihr, dass Freddy Mars wegen Mordverdachts verhaftet worden, mittlerweile aber wieder auf freiem Fuß war. Und er berichtete ihr, was die Kunstreiterin ihm und dem Jockey anvertraut hatte.
„Ich bin mir ziemlich sicher, dass Leonie und Napoleon diese Entführung gemeinsam inszeniert haben. Nur, wo ist die Kleine jetzt? Diese Angelina ist sicher auch kein Unschuldslamm, aber so ein schlimmes Verbrechen trau ich ihr eigentlich nicht zu. Steht auf Entführung und Erpressung nicht die Todesstrafe? Ich glaube, dass Max Polanski hinter allem steckt. Habe aber keinerlei Beweise. Es gibt keine handfesten Indizien, die gegen ihn sprechen. Es ist nur ein Verdacht. Deswegen muss ich unbedingt mit Rudi reden. Ich verstehe nicht, warum er sich noch nicht gemeldet hat.“
„Wenn dieser Verbrecher die Kleine entführt hat, dann ist sie verloren.“
Gustav war dieser Gedanke ebenfalls schon gekommen.
„Wo könnte er das Mädchen bloß versteckt haben?“
„Überall.“
Er sah seine Tante überrascht an. So negativ kannte er sie nicht. Normalerweise war sie immer um Lösungen bemüht. Diese resignative Haltung passte überhaupt nicht zu ihr.
„Eine Hellseherin hat merkwürdige Andeutungen gemacht, hat gesagt, dass die Kleine in einem Tunnel, einem Eisenbahntunnel, versteckt gehalten würde. Verdammt noch mal, in Wien gibt es keinen Eisenbahntunnel. Der Entführer wird sie doch nicht mit der Semmeringbahn weggebracht haben.“
„Was hat sie sonst noch gesehen?“
„Nichts von Bedeutung. Sie hat etwas von einem
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