Der Tod hat eine Anhängerkupplung: Ein Campingkrimi (German Edition)
fragte: »Kannst du mir Teewasser heiß machen?«, öffnete ich wortlos die Tür, ging erneut um das Vorzelt herum zum Gasflaschenstaufach im Bug des Wohnwagens und ärgerte mich nur ganz kurz darüber, dass ich die Gasflasche vor ein paar Minuten nicht gleich mit angeschlossen hatte. Danach betrat ich erneut den Wohnwagen, öffnete das Sicherheitsabsperrventil und drückte den Piezo-Zünder, um die Gaszentralheizung in Betrieb zu nehmen. Ich legte mich flach auf den Boden, um das Aufleuchten der Kontrollflamme in der Heizung zu überprüfen. Als ich das kleine Flämmchen sah, dachte ich: Aha! Gas funktioniert. Also nahm ich die Teekanne, ging zum Waschhäuschen und füllte sie mit Wasser. Zurück im Wohnwagen nahm ich den kleinen Kochtopf aus dem Hängeschrank und goss das Wasser aus der Teekanne in den Topf. Mit dem extra langen Gaskocherfeuerzeug entzündete ich den Gaskocher und stellte den Topf auf die Flamme.
Natürlich schaute mich Anne verwundert an. Natürlich erwartete sie eine Erklärung für mein umständliches Vorgehen. Warum hatte ich nicht einfach den Wasserhahn im Vorzelt aufgedreht? Ich konnte ihr keine Erklärung geben, zumindest keine vernünftige. Also sagte ich gar nichts. Irgendwann würde das Wasser laufen, das wusste ich mittlerweile. Ich hätte natürlich zu Prüfungszwecken in den Wasserhahn schauen können, aber dann würden die Wassermassen sicher just in dem Moment aus der Leitung sprudeln, wenn beide Kinder gerade das Vorzelt betraten. In einem solchen Fall wäre es unmöglich, den Respekt der Kinder aufrecht zu erhalten. Ich konnte nicht beeinflussen, wann die Kinder das Vorzelt betraten, also schaute ich lieber gar nicht erst nach.
Ich setzte mich zu Anne. Wir sprachen nicht über die Polizei und nicht über das, was wir an diesem Abend erlebt hatten. Wir wollten beide so tun, als hätte wie jedes Jahr einfach ein Urlaub begonnen. »Wo sind die Kids?«
»Nebenan bei Schulenkämpers kniffeln. Ich habe gesagt, Punkt zwölf ist Schluss. Sie sind ja auf dem Platz, da kann nichts passieren.« Das kleine Lächeln erstarb auf ihren Lippen. Die Ereignisse des Abends hatten uns schon wieder eingeholt.
»Ja«, sagte ich. »Letztes Jahr galt das noch: Sie sind ja auf dem Platz, da kann nichts passieren. Aber dieses Jahr hat jemand Coen umgebracht. Und dieser Jemand läuft noch frei herum. Ich weiß nicht, ob er hier auf dem Campingplatz ist, aber zumindest war er hier.«
Anne sah mich mit weit aufgerissenen Augen an. »Coen?«
»Ja sicher, hast du das noch nicht gehört? Lothar hat schon gesagt, das ist sicher keiner vom Campingplatz gewesen. Denn wenn Coen tot ist, dann …« Ich wurde von Annes plötzlichem Schluchzen unterbrochen. »Du weinst ja?«
»Du sagst … du sagst, jemand hat Coen umgebracht?« Ihr Schluchzen wurde lauter. Es war nicht hysterisch, aber es fehlte nicht viel.
»Aber Anne, wir kannten ihn doch kaum. Gut, wir haben ein paar Mal ein Bier bei ihm getrunken, und ich finde es auch sehr traurig, aber …«
»Na und?« Sie wandte ihren Blick ab. »Ich habe ja auch geweint, als sie im Fernsehen übertragen haben, wie Menachem Begin beerdigt wurde, und von dem habe ich eigentlich nichts gehalten, und bei der Beerdigung von Lady Di … Ich bin halt so! … Und Coen war wirklich ein netter Kerl.«
»Klar, das war er …« Ich suchte ihren Blick, aber sie schaute ins Nichts. Anne saß zwar mir gegenüber am Tisch, aber sie war ganz woanders. Ich wusste, dass ich ihr in diesem Moment nicht helfen konnte. Sie brauchte Zeit. »Wenn du willst, geh ruhig schlafen. Ich warte hier auf Tristan und Edda«, bot ich ihr etwas hilflos an.
»Dann gehe ich jetzt. Danke.« Sie stand auf, küsste mich auf die Wange, ging in den Wohnwagen und schloss die Tür hinter sich. Sechzehn Jahre waren wir verheiratet. Ich kannte sie so genau und verstand sie doch nicht.
Die Taschenlampe lag in der obersten Schublade des Sideboards im Vorzelt. Ich knipste sie an. Pures Glück! Wenn man am ersten Urlaubstag die Taschenlampe raussucht, dann sind normalerweise die Batterien leer, aber dieses Mal warf die Taschenlampe einen mächtigen Lichtkegel gegen die blau-weiß gestreifte Vorzelt-Wand. Ich beleuchtete den Weg um das Vorzelt herum und fand meinen »Weinkeller« unter dem Wohnwagen. Vorne unter dem Caravan lagen zwei Plastikstapelregale nebeneinander. Sie fassten zwölf Flaschen Wein, und diese zwölf Flaschen lagen in einem perfekten Mikroklima: konstante Feuchtigkeit bei durchschnittlich vierzehn
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