Der Tod hat eine Anhängerkupplung: Ein Campingkrimi (German Edition)
Bett, sein Lieblingsort. In diesem Bett lag er gerade und wippte mit dem rechten Bein, weil sein Traum ihn zwang, schnellen Schrittes irgendwelche Verbrecher zu verfolgen. Wahrscheinlich hatte er im Traum wieder seine Laufschuhe angezogen, und nun hastete er über das Deck der Karnak, um herauszufinden, wer da einen Revolver in den Nil geworfen hatte. Er blickte gerade über die Reling, als ihn ein Klingeln aufschreckte. Das konnte nicht sein. 1937 gab es noch kein Handy …
Es dauerte drei Klingeltöne, bis Piet in die Wirklichkeit zurückgefunden hatte, und noch einmal zwei, bis er das Handy unter dem Bett herausgefischt hatte. »Hallo …?« Er lauschte dem Freizeichen. Es klingelte wieder. Er warf das Handy in den Sessel, stolperte verschlafen zur Tür, nahm den Hörer aus dem weißen Monstrum von Gegensprechanlage und sagte noch einmal: »Hallo?« Annemiekes Gesicht tauchte auf dem Schwarz-Weiß-Monitor auf.
Ihre Stimme eilte den Bewegungen ihrer Lippen auf dem Monitor ein wenig voraus. »Ein schöner Tag, die Vöglein singen, und wir sollten jetzt auch ein paar Vöglein zum Singen bringen. Bist du fertig?«
»Ich habe gerade geduscht. Jetzt werde ich mich rasieren und in Ruhe anziehen. Dann treffen wir uns im St. John auf einen Milchkaffee.«
Das St. John lag gegenüber dem Vismarkt in der Sint Janstraat. Annemieke blieb einen Moment vor dem Haus stehen. Eigentlich waren es sogar zwei Häuser, in denen das Café untergebracht war. Das eine hieß De Wildeman , und das andere trug den verheißungsvollen Namen t’oude Bierhuys . Zusammen bildeten sie Piets Lieblingscafé. Annemieke schaute durch das Fenster in das Lokal. Neun Uhr morgens, und es war schon allerhand los für diese Uhrzeit. Sie musste lächeln, als sie unten rechts im Fenster einen Aufkleber sah, auf dem ein durchgestrichenes Cannabisblatt abgebildet war. Ja, in Middelburg musste man vorsichtig sein, wenn man einen Coffie-Shop betrieb.
Annemieke betrat das Café mit einer gemütlichen alten Einrichtung aus viel dunklem Holz. Die Wandfarbe war in den letzten Jahrzehnten fleckig geworden von den vielen dunklen Zigaretten, die hier geraucht worden waren. Sie setzte sich an den einzigen freien Tisch und schaute in die Karte, obwohl sie sowieso einen Milchkaffee nehmen würde.
Es dauerte nur ein paar Minuten, bis Piet im Türrahmen erschien.
»Na, da bist du ja endlich.« Annemieke musterte ihren Chef und versuchte, jede Missbilligung zu unterdrücken. Sein Haar war noch feucht. Er trug dieselben Sachen wie am Tag zuvor, dieselbe alte Jeans, dieselbe Cordjacke, nur das T-Shirt war heute dunkelgrün. Piet setzte sich und schaute beinahe schuldbewusst an sich herunter. Annemieke rührte ungerührt in ihrem Kaffee. »Punkt eins«, sagte sie. »Wir müssen zu Arie. Ich wüsste nicht, wie wir ohne ihn weiterkommen sollten. Punkt zwei: Wenn ich mich so sorgfältig rasieren würde wie du, würde ich nie mehr einen Bikini anziehen!«
Piet fand mit dem linken Daumen die Stellen an seinem Kinn, wo sich noch einige Bartstoppeln munter emporreckten. Jetzt hatten die Dinger schon fünf Klingen, und sie rasierten immer noch nicht ordentlich. »Ja«, sagte er nur. »Da gibt es wohl ein paar Fragen, die Arie uns beantworten kann. Zumindest wird er uns sagen können, wann der Tod eingetreten ist. Vielleicht kann er uns auch erklären, wieso Coen kopfüber am Haken hing.«
»Na, damit er in dem Becken ertrinken musste …« Sie zögerte. »Ach so, du meinst, wie kriegt man so einen kräftigen Mann in diese Position?«
»Mir ist gestern aufgefallen, dass der Kopf eigentümlich schräg lag. Vielleicht war sein Genick gebrochen. Es kann doch sein, dass er schon tot war, als er für das Publikum so unnachahmlich drapiert wurde.«
»Das müsste Arie uns erklären können. Wollen wir gleich los, oder trinkst du noch einen Kaffee?«, fragte Annemieke.
»Erst den Kaffee.«
»Warum frage ich überhaupt?«
Piet bestellte einen Zeeuwse Koffie , einen Bauernkaffee mit Kandiszucker und einem Bolus , einem Hefeteilchen mit Nussfüllung, auf den Butter gestrichen wurde, und gleich noch eine Tasse Kaffee extra.
»Der Bolus gehört zum Kaffee dazu, der kostet nichts extra«, erklärte er. »Zwei Kaffee, und du brauchst dir um das Frühstück keine Gedanken mehr zu machen. Und weißt du, warum ich diesen Coffie-Shop morgens so liebe?«
»Du wirst es mir bestimmt gleich sagen.« Annemieke seufzte.
»Da steht zwar ein Klavier in der Ecke, aber es gibt keine
Weitere Kostenlose Bücher