Der Tod heilt alle Wunden: Kriminalroman (German Edition)
Ginger natürlich! Jeder sagt, dass Pferde das Einzige wären, was sie wirklich liebt … liebte. Sie konnte Menschen wie den letzten Dreck behandeln, für ihre Pferde aber gab es immer nur das Beste. Der Pferdestall, vielleicht ging sie da immer hin, wenn sie unglücklich war …
Nein, Mädel! Werden Sie mir jetzt nicht sentimental.
Warum nicht? In jedem von uns steckt auch was Gutes, Andy, obwohl man bei manchen schon einen guten Chirurgen braucht, um es zu finden.
Werde ich mir merken. Also, worum ging es bei diesem traurigen Zeug, das sie von sich gegeben hat?
Ich habe davon nicht viel mitbekommen, es war eher der Ton, der mir auffiel. Aber ich habe einiges aufgeschnappt, sie sprach vom Vertrauen in die Menschen, von einem quiekenden Schwein, glaube ich.
Vielleicht dachte sie, die Tierschutzleute hätten recht, und sie sollte das mit den Schweinen lassen und Vegetarierin werden?
Dann hat sie sich den falschen Zeitpunkt ausgesucht. Wie gesagt, es hat mich selbst überrascht, dass sie mir ein wenig leidtat – sie, die Lady auf ihrer eigenen Party, Herrin über das gemeine Volk, und dann redet sie mit einem Gaul! Ich wollte mich leise zurückziehen, an der Tür aber stand ein alter Futterkübel, und als ich mich umdrehte, stieß ich dagegen. Das Pferd wieherte – hatte wohl gedacht, es gäbe was zu fressen –, und Lady D. rief: »Wer ist da?« Ich hätte wohl immer noch verschwinden können, nur war sie wie der Blitz an der Tür. Musterte mich von Kopf bis Fuß, dann sagte sie: »Ach, Sie sind es nur, Schwester Sheldon.« Sie nannte mich immer Schwester Sheldon, in so einem abwertenden Ton.
Und fühlten Sie sich so? Abgewertet?
Nein. Ich hatte einfach nur Mitleid mit ihr. Ich nahm einen Schluck von meinem Wein – ich hatte ein Glas Rotwein bei mir – Champagner steigt mir immer zu Kopf – und sagte: »Hallo, Lady Denham. Ich habe nur Ihr Anwesen bewundert. Sehr schön alles, nicht wahr?« Das schien sie zu provozieren.
Warum? Klingt doch ganz unverbindlich.
Genau das war vielleicht das Problem. Ich schau ihr immer in die Augen, lass mich, soweit es möglich ist, nicht unterkriegen, ohne unhöflich zu werden. Diesmal, ich weiß nicht, klang ich vielleicht zu höflich, vielleicht sogar freundlich, so, als würde sie mir leidtun. Und als sie das merkte, schürte das ihren Zorn noch mehr.
Wie hat sie reagiert?
Sie flippte völlig aus. Im Nachhinein denke ich mir, es musste etwas vorgefallen sein, was ihren Zorn und zugleich ihr Selbstmitleid erregt hatte. Deshalb hatte sie den Stall aufgesucht und mit Ginger geredet. Was ich belauscht hatte, waren ihre traurigen Gefühle, aber jetzt kam ihr ganzer Zorn hoch – nein, er kam nicht hoch, sie explodierte! Unfassbar, was ich zu hören bekam. Sie sagte mir, ich hätte kein Recht, einfach so über ihr Grundstück zu laufen, ich sei hier nur geduldet als bezahlte Bedienstete des Avalon, als Vertreterin der Angestellten, und wenn ich meinen rechtmäßigen Platz kennen würde, wäre ich jetzt vor dem Haus und würde mich in angemessener Form um die wirklich wichtigen Gäste wie Dr. Feldenhammer kümmern, statt angetrunken herumzuschleichen und meine Nase in Dinge zu stecken, die mich nichts angingen.
Großer Gott! Und Sie haben sich das gefallen lassen?
Nein. Ich wurde wütend. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich habe Dinge gesagt, die ich besser für mich behalten hätte.
Zum Beispiel?
Dass sie sich zwar für was Besonderes hält, im Grunde aber eine ganz und gar lächerliche Person sei. Eine geriatrische Nymphomanin, die einem zwanzig Jahre jüngeren Mann nachstellt, der sie im besten Fall für lächerlich, im schlimmsten für abstoßend hält.
Sie nehmen keine Gefangenen, oder, Pet?
Ich bin nicht stolz drauf, Andy. Schließlich sagte ich ihr, es sei an der Zeit, dass alle Welt endlich erfährt, was für ein Ungeheuer sie ist, und dass sie dann noch nicht mal ihr beschissener Adelstitel schützen würde. Sie brüllte nicht mehr, sie stand nur da und sah mich an, als wäre ich ein Stück Hundekacke. Und dann sagte sie: »Ich bin, die ich bin, Schwester Sheldon. Ich mache, was ich machen muss, und ich trage die Konsequenzen. Und jetzt gehen Sie. Sie sind mitleiderregend.« Plötzlich wusste ich nicht mehr, was ich sagen sollte, also kippte ich ihr meinen Wein drüber.
Warum? Ich meine, das war doch nichts, verglichen mit dem, was Sie ihr gesagt haben. Geriatrische Nymphomanin! Da muss sie doch mehr als »Sie sind mitleiderregend« erwidert
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