Der Tod ist kein Gourmet
beinahe so, als erwartete er, dass ich wüsste, wer er ist.«
»Deine Beschreibung ist ja ziemlich farbig: ein großer dürrer Kerl mit viel zu wenig Kleidung und unechter Sonnenbräune.«
»Hab ich das gesagt?«
»Es klang ganz so, als hättest du daran gezweifelt, dass die Bräune echt ist.«
»Ich fand den ganzen Kerl nicht echt. Er war seltsam. Wirklich seltsam.«
Doherty bestellte sich noch einen Drink und machte eine Kopfbewegung in ihre Richtung. Er bot ihr einen weiteren Drink an. »Aber nur Tonic.«
Ihr Gehirn war nicht ganz im Gleichschritt mit ihrem Mund. Sie verkniff sich also die Diskussion über die Bestellung.
Er reichte ihr das Glas. »Da. Ich habe heute meinen großzügigen Tag. Du kriegst ein doppeltes Tonic.«
»Du bist so gut zu mir.« Sie wusste, dass es vernünftiger war. Ihre Lippen fühlten sich an, als wären sie aus Gummi, und sie gehorchten ihr nicht unbedingt.
Er warf ihr einen wissenden Blick zu. Honey interpretierte das als: Ich weiß eine Frau zu schätzen, die weiß, wann sie genug hat.
Honey fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. Die Stirn fühlte sich heiß an, der Handrücken war schön kühl. Normalerweise wusste sie wirklich, wann sie genug hatte. Hätte sie die Regel nur früher am Abend befolgt! Wenn man in ihrem Beruf zu viel trank, konnte das der Anfang einer schrecklichen Abwärtsspirale sein, von der es fast kein Entrinnen gab. Sie hatte schon zu oft gesehen, wie andere, gewöhnlich wegen persönlicher Probleme, zur Flasche griffen. Untreue und zerrüttete Ehen standen ganz oben auf der Liste möglicher Gründe, warum Leute aus dem Gastgewerbe zu viel von den Getränken zu sich nahmen, die sie eigentlich an andere verkaufen sollten. Ein weiterer Grund waren flaue Geschäfte. Sie kannte einen Kollegen, der nicht begriff, wohin sein ganzer Wein und Schnaps verschwand – bis er merkte, dass seine Bar leer und er sein bester Kunde gewesen war, weil er sich zu Tode langweilte und immer nachschenkte.
Honey kniff die Augen zusammen. »Ich frage mich, warum Wright angefangen hat zu saufen?«
Doherty zuckte die Achseln. »Könnte alles Mögliche sein: eine Scheidung, ein Trauerfall, zerstörte Träume ... oder vielleicht sogar Schuldgefühle? Wegen all der Leute, die er so mies behandelt hat.«
Honey funkelte ihn an. »Nö! Der doch nicht! Wright hatte kein Gewissen. Der hatte alles Mögliche andere,konnte zum Beispiel die Hände nicht bei sich behalten und hatte eine Vorliebe für seltsame Sexpraktiken, aber Gewissensbisse? Der nicht.«
»Noch ein letzter Drink?«
Sie nickte. Während er auf die Toilette ging, überredete sie den Barmann, ihr einen doppelten Wodka zu geben. Sie meinte, dass sie durch die beiden unverdünnten Tonics inzwischen wieder völlig nüchtern geworden war. Warum trinkst du denn?, fragte sie sich. Sie gab sich sofort laut die Antwort: »Um zu vergessen.«
»Was war das?«, erkundigte sich Doherty.
»Ich habe gerade laut überlegt. Wright hat vielleicht getrunken, um zu vergessen.«
Das war eine glatte Lüge. Sie dachte an den entführten Hund. Das Problem mit Bobo schien ihr plötzlich ungeheuer besorgniserregend. Da war doch irgendwas mit Doras Testament gewesen ... und mit dem Hund. Wenn sie die beiden Punkte kombinierte, dann war wohl damit zu rechnen, dass ihre Mutter nicht erfreut sein würde. Also, was konnte sie sagen, um zu erklären, dass Bobo gerade nicht da war? Nicht sonderlich viel.
Sie kippte ihren Drink hinunter – in einem Zug.
Doherty sagte gerade etwas, und sie gab sich größte Mühe, ihm zuzuhören.
»Die Sache ist die, ich habe schon ...«
Sie tat so, als wüsste wie, worauf er hinauswollte.
»Wright?«, nuschelte sie. Dann fiel ihr Kopf an seine Schulter.
Er stützte sein Kinn auf das weiche, dunkle Haar und atmete das Aroma aus Apfelblütenshampoo mit einem Hauch von Knoblauchscampi und Grillsteak ein.
»Ich bring dich nach Hause.«
Er schaffte es, sie auf die Füße zu stellen, ihre Wangenoch immer an seine Schulter geschmiegt. Sie ließ ihn in dem Glauben, dass die Drinks sie wesentlich mehr beeinträchtigt hatten, als das eigentlich der Fall war. Denn es war sehr angenehm, sich an einen starken Mann zu lehnen, obwohl ihre Beine irgendwie ...
»Hab ich dir schon mal von dem Hund erzählt, den ich als Kind hatte? Der hatte Fell, das die gleiche Farbe hatte wie dein Haar. Hast du das gewusst?«
Sie wusste es nicht und sie hatte es auch nicht gehört. Doherty lächelte vor sich hin. »Ab ins Bett mit
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