Der Tod ist mein Beruf
ließ ich mich nach Hause fahren. Elsie und Frau Müller überwachten die Kinder beim Essen. Ich küßte die Kinder und sagte: "Guten Abend, Elsie."
Es entstand eine kleine Pause, dann sagte sie mit ganz natürlicher Stimme: "Guten Abend, Rudolf."
Ich hörte einen Augenblick dem Geschwätz der Kinder zu, dann stand ich auf und ging in mein Arbeitszimmer . Etwas später klopfte es an meine Tür, und Elsies Stimme sagte: "Das Abendessen, Rudolf."
Ich hörte ihre Schritte schwächer werden, ich trat hinaus und ging ins Eßzimmer. Ich setzte mich, Elsie und Frau Müller taten das gleiche.
Ich fühlte mich sehr müde. Wie gewöhnlich füllte ich die Gläser, und Elsie sagte: "Danke, Rudolf."
Frau Müller fing an, von den Kindern zu sprechen, und Elsie diskutierte mit ihr über ihre Fähigkeiten. Nach einer Weile sagte Elsie: "Nicht wahr, Rudolf?"
Ich hob den Kopf. Ich hatte nicht zugehört und sagte aufs Geratewohl: "Ja, ja."
Ich sah Elsie an. In ihren Augen war nichts zu lesen. Sie blickte mit gleichgültiger Miene weg. "
Wenn Sie erlauben, Herr Kommandant", sagte Frau Müller, "auch Karl ist klug. Nur, er interessiert sich sehr für Dinge, aber gar nicht für Menschen."
Ich nickte bejahend und hörte nicht mehr zu. Nach dem Essen stand ich auf, verabschiedete mich von Elsie und Frau Müller und schloß mich in meinem Arbeitszimmer ein. Das Buch über Pferdezucht lag auf meinem Schreibtisch, ich schlug es auf gut Glück auf und fing an zu lesen. Nach einer Weile stellte ich das Buch ins Regal, zog meine Stiefel aus und begann hin und her zu gehen. Um zehn Uhr hörte ich, wie Frau Müller Elsie gute Nacht sagte und nach oben ging. Ein paar Minuten später erkannte ich Elsies Schritt auf der Treppe. Ich hörte das leichte Knacken des Schalters, den sie niederdrückte, und dann wurde alles wieder still. Ich brannte mir eine Zigarette an und öffnete das Fenster ganz weit. Es schien kein Mond, aber die Nacht war klar. Ich sah einen Augenblick zum Fenster hinaus, dann entschloß ich mich, zu Elsie zu gehen und mit ihr zu sprechen. Ich drückte meine Zigarette aus, ging durch die Diele und stieg leise die Treppe hinauf. Ich legte meine Hand auf die Türklinke, drückte sie nieder und gab der Tür einen leichten Stoß. Die Tür war verriegelt. Ich klopfte schwach, dann nach ein paar Sekunden zweimal kräftiger. Es erfolgte keine Antwort. Ich näherte mein Gesicht der Türfüllung und lauschte. Das Zimmer war so still wie das einer Toten.
1945
Die Krematorien III und IV wurden zur festgesetzten Frist fertiggestellt, und von Januar 1943 bis zum Ende des Jahres lief die gesamte Anlage auf vollen Touren. Im Dezember 1943 wurde ich zum Inspekteur der Lager ernannt, ich verließ Auschwitz und brachte meine Familie in Berlin unter. Doch kehrte ich nach Auschwitz zurück und verbrachte dort einen Teil des Sommers 1944, um einem Nachfolger bei der Lösung der Probleme zu helfen, welche die Sonderbehandlung von vierhunderttausend ungarischen Juden stellte. Meine letzte Inspektionsreise fand im März 194 5 statt. Ich besuchte Neuengamme, Bergen-Belsen, Buchenwald, Dachau und Flossenburg und überbrachte den Kommandanten dieser Lager persönlich den Befehl des Reichsführers, keine Juden mehr hinzurichten und das Menschenmögliche zu tun, um die Sterblichkeit aufzuhalten. Besonders Bergen-Belsen war in einem erschreckenden Zustand. Es gab dort kein Wasser mehr, keine Lebensmittel, die Latrinen flossen über, und auf den Lagerstraßen verwesten mehr als zehntausend Leichen im Freien. Es war außerdem unmöglich, die Häftlinge zu ernähren, denn das Lebensmittelamt des Bezirks weigerte sich, etwas zu liefern, was es auch sei. Ich befahl dem Kommandanten, in allem Ordnung zu schaffen, und nach Ablauf einer gewissen Zeit besserten sich die hygienischen Verhältnisse. Indessen gab es noch immer keine Lebensmittel, und die Häftlinge starben wie die Fliegen. Ende April 1945 wurde die Lage derart, daß der Befehl kam, die Amtsgruppe, zu der ich gehörte, in das KZ Ravensbrück zu verlegen. Die Autos der SS-Führer und ihrer Familien sowie die Lastkraftwagen, welche die Akten und das Material mitführten, zogen in einer langen Karawane über die Landstraßen. Diese waren von Zivilisten verstopft, die vor den Bornbardierungen flüchteten. Von Ravensbrück gelangten wir nach Rendsburg, und alles, was ich finden konnte, um die ganze Gesellschaft unterzubringen, war ein Viehstall. Doch am nächsten Tag konnten die Frauen und Kindern in
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