Der Tod ist mein Beruf
wimmerte leise wie ein weinerliches Kind, sie kam mit erstaunlicher Langsamkeit vorwärts und stolperte über Steine. Einmal schien sie zu fallen und mehrere Meter weiterzurollen, dann kam sie wieder auf die Füße. Sie verschwand im Schatten eines Hauses, man verlor sie vollkommen aus den Augen, dann trat sie plötzlich wieder in das Mondlicht heraus. Sie war nun ganz nahe bei uns. Es war ein kleiner Junge von fünf, sechs Jahren, im Hemd, barfuß, mit einer blutigen Wunde am Hals. Er stand vor uns, schwankte ein bißchen auf den Füßen, sah uns mit seinen dunklen Augen an und fing plötzlich mit ungewöhnlich kräftiger Stimme zu schreien an: "Baba! Baba!"
Dann fiel er der Länge nach mit dem Gesicht zu Boden. Bürkel sprang vom Pferd, lief zu ihm hin und kniete nieder. Sein Pferd machte einen Satz zur Seite. Es gelang mir, die Zügel zu fassen, und ich sagte mit scharfer Stimme: "Bürkel!"
Es folgte keine Antwort, und nach einem Weilchen wiederholte ich, ohne die Stimme zu heben: "Bürkel!"
Er erhob sich langsam und kam zu mir her. Er stand neben meinem Pferd, sein dicker Schädel glänzte im Mondlicht, ich sah ihn an und sagte: "Wer hat Ihnen erlaubt, abzusitzen?"
"Niemand, Herr Unteroffizier."
"Habe ich Ihnen den Befehl gegeben, abzusitzen?"
"Nein, Herr Unteroffizier."
"Warum haben Sie es getan?"
Ein Schweigen entstand, dann sagte er: "Ich glaubte es richtig zu machen, Herr Unteroffizier."
"Man darf nicht glauben, Bürkel. Man muß gehorchen."
Er preßte die Lippen zusammen, und ich sah, wie ihm der Schweiß über seine zusammengepreßte Kinnlade herunterlief. Er sagte mühsam: "Jawohl, Herr Unteroffizier."
"Sie werden bestraft werden, Bürkel."
Schweigen. Ich fühlte die Spannung unter den Männern und sagte: "Sitzen Sie wieder auf."
Bürkel sah mich wohl für eine Sekunde lang an. Der Schweiß floß ihm über das Kinn. Er sah verstört aus. "Herr Unteroffizier, ich habe einen kleinen Jungen in demselben Alter."
"Sitzen Sie wieder auf, Bürkel."
Er nahm mir die Zügel aus der Hand und schwang sich in den Sattel. Nach einer Weile sah ich eine brennende Zigarette einen leuchtenden Streifen durch die Nacht ziehen und dann funkensprühend zu Boden fallen. In der nächsten Sekunde folgte eine zweite, dann wieder eine, noch eine, und so weiter, die ganze Linie entlang. Und ich begriff, daß meine Leute mich haßten.
"Nach dem Kriege", sagte Suleiman in der Mittagspause, "werden wir die Araber genauso ausrotten, wie wir unsere armenischen Untertanen ausgerottet haben. Und aus dem gleichen Grunde."
Selbst unter dem Zelt war die Glut der Sonne unterträglich. Ich stützte mich auf die Ellenbogen auf, und gleich waren meine Handflächen feucht. "Aus welchem Grunde?"
Suleiman antwortete rasch und in lehrhaftem Ton: "In der Türkei ist kein Platz für Araber und Türken."
Er setzte sich mit untergeschlagenen Beinen hin und fing plötzlich an zu lächeln. "Das versuchte gestern abend unser dicker Major Ihrem Leutnant von Ritterbach begreiflich zu machen. Glücklicherweise versteht Ihr Leutnant kein Türkisch. .."
Er machte eine Pause. ". ..denn er hätte keinesfalls begriffen, daß man, weil die Aufrührer klugerweise aus ihrem Dorf verschwunden waren, ganz einfach das nächste arabische Dorf ausrottete. .."
Ich sah ihn mit offenem Mund an. Er fing an zu lachen, es war ein schrilles, weibisches Lachen. Seine Schultern zuckten dabei, er wiegte seinen Oberkörper vor und zurück, und jedesmal, wenn er nach vorn kam, schlug er mit beiden Händen auf den Boden. Allmählich beruhigte er sich, brannte sich eine Zigarette an, blies den Rauch durch die Nase und sagte: "Da sehen Sie, was ein guter Dolmetscher wert ist."
Ich erwiderte nach einer Weile: "Aber dieses Dorf war doch unschuldig."
Er schüttelte den Kopf. "Mein Lieber, das verstehen Sie nicht! Das Dorf war arabisch. Also war es nicht unschuldig. .."
Dabei fletschte er seine weißen Zähne. "
Wissen Sie, das ist interessant, Ihren Einwand hat man einst unter ähnlichen Umständen unserm Propheten Mohammed gemacht. .."
Er nahm die Zigarette aus dem Mund, seine Gesichtszüge veränderten sich, und er sagte ernst und andächtig: "Der Friede Allahs sei mit ihm!"
Dann fuhr er fort: "Und unser Prophet Mohammed antwortete: ,Wenn du von einem Floh gestochen wirst, tötest du sie da nicht alle?", Wie es meine Pflicht war, berichtete ich noch am seIben Abend Rittmeister Günther, was mir Suleiman erzählt hatte. Er lachte eine ganze Weile, wiederholte
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