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Der Tod ist mein Beruf

Der Tod ist mein Beruf

Titel: Der Tod ist mein Beruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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schwarzes Loch geöffnet hätte. Nach ein paar Minuten stimmte jemand "Siegreich wolln wir Frankreich schlagen"
    an, einige Dragoner sangen im Chor wild drauflos, der Regen fiel heftiger, die Pferdehufe klapperten dazu in verkehrtem Rhythmus, und plötzlich wurden der Regen und der Wind so heftig, daß der Gesang immer schwächer wurde, sich verzettelte und erstarb. Hinterher war es schlimmer, als wenn man nicht gesungen hätte.

1918

    In Deutschland wurde unsere Abteilung von Ort zu Ort geschickt, ohne daß jemand wußte, wer uns zu betreuen hätte, und der Unteroffizier Schrader sagte zu mir: "
    Von uns will niemand mehr etwas wissen. Wir sind eine verlorene Abteilung."
    Endlich erreichten wir unsern Ausgangspunkt, die kleine Stadt B. Dort beeilte man sich, uns zu demobilisieren, um uns nicht weiterverpflegen zu müssen; man gab uns die Zivilkleider zurück, etwas Geld und einen Fahrschein, damit wir nach Hause zurückkehren konnten. Ich nahm den Zug nach H. Im Abteil kam ich mir in meiner Windjacke und der Hose, die mir jetzt viel zu kurz war, lächerlich vor, und ich ging auf den Gang hinaus. Gleich darauf sah ich von hinten einen großen, mageren, braunen Burschen mit kahlem Schädel, dessen breite Schultern eine abgetragene Jacke zu sprengen drohten. Er drehte sich um; es war Schrader. Er sah mich an, rieb sich seine zerbrochene Nase mit dem Handrücken und brach in ein Gelächter aus. "Du bist es? Wie bist du denn angezogen? Du hast dich wohl als kleiner Junge verkleidet?"
    "Du auch."
    Er warf einen Blick auf seinen Anzug. "Ich auch."
    Seine schwarzen Augenbrauen senkten sich wie ein einziger dicker Strich über seine Augen, er blickte mich einen Augenblick lang an, und sein Gesicht wurde traurig. "
    Wir sehen wie zwei magere Clowns aus."
    Er trommelte an das Wagenfenster und fuhr fort: "
    Wo willst du hin?"
    "Nach H."
    Er pfiff. "Ich auch. Wohnen deine Eltern dort?"
    Die sind tot, aber meine Schwestern und mein Vormund leben da."
    "Und was willst du nun machen?"
    "Ich weiß nicht."
    Er trommelte wieder an die Scheibe, ohne etwas zu sagen. Dann holte er eine Zigarette aus der Tasche, brach sie entzwei und gab die eine Hälfte mir . "Siehst du", sagte er bitter, "man ist hier überflüssig. Man hätte nicht zurückkehren sollen."
    Nach einem Schweigen sagte er: "Zum Beispiel da drin sitzt eine kleine Blonde."
    Er zeigte mit dem Daumen nach seinem Abteil. "Ein hübsches kleines Ding. Mir gerade gegenüber. Die sah mich an, als ob ich Dreck wäre!"

    Er machte eine wegwerfende Handbewegung. "Es ist alles Dreck! Das Eiserne Kreuz und alles! Alles ist Dreck!"
    Er setzte hinzu: "Deshalb bin ich rausgegangen."
    Er tat einen Zug, bog seinen Kopf zu mir herunter und sagte: "
    Weißt du, was in Berlin die Zivilisten mit den Offizieren machen, die in Uniform auf der Straße herumlaufen?"
    Er blickte mich an und sagte mit verhaltener Wut: "Sie reißen ihnen die Schulterstücke herunter."
    Ich fühlte einen Kloß in meinerKehle und sagte: "Bist du sicher?"
    Er schüttelte den Kopf, und wir standen eine Weile schweigend da. Dann begann er von neuem : "Also was willst du jetzt machen ?"
    .Ich weiß nicht."
    Er erwiderte: "Was kannst du denn?"
    Ohne mir Zeit zu einer Antwort zu lassen, sagte er grinsend: "Streng dich nicht an; ich will für dich antworten: Nichts. Und ich, was kann ich denn? Nichts. Wir können kämpfen, aber es scheint, daß man nicht mehr zu kämpfen braucht. Soll ich dir sagen, was wir sind? Wir sind Arbeitslose."
    Er fluchte. "Aber um so besser. Herrgott, ich will lieber mein ganzes Leben lang Arbeitsloser sein als für ihre verdammte Republik arbeiten."
    Er legte seine großen Hände auf den Rücken und sah zu, wie die Landschaft vorüberflog. Nach einer Weile zog er ein Stückchen Papier und einen Bleistift aus der Tasche, legte es gegen die Scheibe, kritzelte ein paar Zeilen darauf und hielt mir das Papier hin. "Da, das ist meine Adresse. Wenn du nicht weißt, wohin, brauchst du nur zu mir zu kommen. Ich habe nur ein Zimmer, aber in meiner Bude ist für einen alten Kameraden von der Abteilung Günther immer Platz."
    "Bist du sicher, dein Zimmer frei vorzufinden?"
    Er fing an zu lachen. "Was das angeht, ja!"
    Dann setzte er hinzu: "Meine Wirtin ist eine Witwe."
    In H. ging ich sofort zu Onkel Franz. Es war finster, ein feiner Regen fiel, ich hatte keinen Mantel und war vom Kopf bis zu den Füßen durchnäßt. Die Frau von Onkel Franz öffnete. "Ach, du bist es", sagte sie, als ob sie mich erst am Tag

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