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Der Tod ist mein Beruf

Der Tod ist mein Beruf

Titel: Der Tod ist mein Beruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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schneller, sie keuchte, und alles begann wieder von neuem. Eines Abends brachte sie eine Flasche Schnaps und Bier mit. Ich war den ganzen Tag herumgelaufen, um Arbeit zu suchen, ich war traurig und müde. Frau Lippmann holte Fleisch; nach jedem Bissen goß sie mir Bier und Schnaps ein, sie trank mit, und als wir mit Essen fertig waren, fing sie an, von Schrader zu sprechen, zu weinen und Schnaps zu trinken. Gleich darauf schlug sie mir vor, mit ihr zu ringen, sie faßte mich um den Leib und wälzte sich mit mir auf dem Boden herum. Ich forderte sie auf, mein Zimmer zu verlassen. Sie fing an, wie verrückt zu lachen, es wäre ihre Wohnung, und sie würde mir zeigen, ob ich ihr etwas zu sagen hätte. Daraufhin ging das Gebalge wieder los. Dann trank sie wieder Schnaps, füllte auch mein Glas, weinte, sprach von ihrem verstorbenen Mann, von Schrader, von einem anderen Mieter, den sie vor ihm gehabt hätte. Sie sagte immer wieder, Deutschland sei kaputt, alles wäre kaputt, auch die Religion wäre kaputt, es gäbe keine Moral mehr, und die Mark sei nichts mehr wert. Was sie betreffe, so wäre sie mir gut, aber ich hätte überhaupt kein Herz, ich wäre, wie Schrader sagte, ein "toter Hering", er hätte recht gehabt, ich liebte nichts und niemanden, und am nächsten Tag werde sie mich ganz bestimmt hinauswerfen. Darauf traten ihr die Augen aus dem Kopf, und sie schrie: "Raus, mein Herr, raus!"
    Dann stürzte sie auf mich los, um mich zu schlagen, sie kratzte und biß. Wir wälzten uns noch einmal auf dem Boden, und sie preßte mich an sich, daß ich fast erstickte. Es drehte sich mir im Kopf, mir war, als kämpfte ich schon stundenlang mit dieser Furie, es war wie ein Alpdruck, ich wußte nicht mehr, wo ich war, noch wer ich war. Schließlich packte mich ein rasender Zorn, ich warf mich auf sie, schlug auf sie ein und nahm sie. Am nächsten Morgen verließ ich in der Dämmerung das Haus wie ein Dieb und sprang in den Zug nach M.

1922

    In M. war ich nacheinander Erdarbeiter, Handlanger in einer Fabrik, Laufbursche und Zeitungsverkäufer. Aber diese Beschäftigungen dauerten nie lange, und in immer häufigeren Zwischenräumen reihte ich mich in die große Masse der deutschen Arbeitslosen ein. Ich nächtigte in Asylen, ich versetzte meine Taschenuhr, ich lernte hungern. Im Frühjahr 1922 hatte ich unerhörtes Glück. Es gelang mir, als Handlanger beim Bau einer Brücke eingestellt zu werden, die voraussichtlich in drei Monaten fertig sein würde. Während dieser drei Monate war ich also beinahe sicher, wenn die Mark nicht noch mehr sank, mir eine dritte Mahlzeit leisten zu können. Zuerst entlud ich Sandwagen, das war eine ziemlich beschwerliche Arbeit, aber man konnte wenigstens zwischen zwei Schaufelwürfen verschnaufen. Leider versetzte man mich nach zwei Tagen an eine Betonmaschine, und von der ersten Stunde an fragte ich mich voller Angst, ob ich die Kraft besäße, es auszuhalten. Ein kleiner Wagen brachte uns den Sand und kippte ihn hinter der Maschine aus; zu viert mußten wir mit unsern Schaufeln ohne Unterbrechung eine riesige Schraube füttern, die zugleich mit dem Zement den Sand in den Mischbottich hineinzog. Die Betonmaschine drehte sich unbarmherzig, man mußte ihr unablässig Futter hinschütten, es war keine Sekunde zu verlieren; sobald das Metall der Schraube sichtbar wurde, fing der Meister an zu schimpfen. Ich hatte das scheußliche Gefühl, in ein Räderwerk geraten zu sein. Der Elektromotor brummte über unseren Köpfen, der Kamerad, der ihn bediente -ein gewisser Siebert -, nahm von Zeit zu Zeit einen Sack Zement, riß ihn auf und schüttete den Inhalt in den Trichter. Sogleich rieselte Zementstaub auf uns nieder, setzte sich an uns fest und blendete uns. Ich schaufelte unablässig, das Kreuz tat mir weh, die Beine zitterten fortwährend, und es gelang mir nicht, richtig Atem zu holen. Der Meister pfiff, und jemand sagte halblaut: "Zwölf Uhr fünf. Das Schwein hat uns wieder fünf Minuten gestohlen."
    Ich warf meine Schaufel hin, machte taumelnd einige Schritte und ließ mich auf einen Kieshaufen fallen. "Es geht wohl nicht?"
    sagte Siebert. "Es geht schon."
    Ich holte mein Mittagbrot aus der Tasche: Brot mit ein bißchen Schmalz darauf. Ich fing an zu kauen. Ich empfand Hunger und gleichzeitig Übelkeit. Die Knie zitterten mir .

    Siebert setzte sich neben mich. Er war sehr groß und mager, er hatte eine lange, spitze Nase, schmale Lippen und abstehende Ohren. "Siebert", hörte ich eine Stimme, "du

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