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Der Tod ist mein Beruf

Der Tod ist mein Beruf

Titel: Der Tod ist mein Beruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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mußt dem Meister sagen, daß Mittag um zwölf Uhr ist."
    "Ja, ja, 'Zitronenschale"', sagte Siebert grinsend. Sie sprachen ganz in meiner Nähe, aber ihre Stimmen klangen sehr entfernt. "Das Schwein wird seine Uhr herausziehen und sagen: 'Genau zwölf Uhr, mein Herr'."
    Ich blickte auf. Die Sonne trat aus einer Wolke hervor und beleuchtete die Betonmaschine, die ein paar Schritte hinter mir stand. Sie war ganz neu, hellrot angestrichen. Neben ihr stand eine Lore auf Schienen. Davor waren Schaufeln in den Sand gestoßen. Auf der anderen Seite der Betonmaschine erhob sich das Förderband, das den frischen Beton bis zur Brücke beförderte. Mir war übel, ich hatte Ohrensausen, ich sah alles verschwommen und verzerrt, während ich mein Brot kaute. Plötzlich fühlte ich Angst aufsteigen, ich senkte die Augen, es war zu spät; der Wagen, die Betonmaschine, die Schaufeln waren lächerlich klein geworden, wie Spielzeug, sie fingen an, mit einer tollen Geschwindigkeit in das Nichts zurückzuweichen; eine schwindelnde Leere tat sich auf, vor mir und hinter mir war alles leer, und in dem Leeren lag Erwartung, als ob etwas Furchtbares hereinbrechen wollte, das viel schrecklicher war als der Tod. Eine Stimme traf mein Ohr, ich sah meine Hände. Sie waren fest geschlossen, mein linker Daumen rieb den rechten in seiner ganzen Länge, ich blickte darauf hin, ich fing an, leise zu zählen: "Eins, zwei, drei, vier. ..", es war wie ein Krampf, dann löste sich alles. Rechts neben mir sah ich das große abstehende Ohr Sieberts, jemand sagte: "Donnerwetter! Weißt du, was dieses Schwein macht? vor zwölf stellt er seine Uhr fünf Minuten zurück. Warum sagst du ihm das nicht?"
    Die Stimme drang wie durch dichte Lagen Baumwolle zu mir, aber es war eine Stimme, ich verstand, was sie sagte, und hörte eifrig zu. "Ach, wenn er nicht die Frau hätte und das kranke Mädchen!"
    Sie saßen da, ich beobachtete sie und versuchte, mich an ihre Namen zu erinnern. Siebert, "Zitronenschale", Hugo, und der Kleine neben ihm, der blasse, braunhaarige, wie hieß er doch ? Eine heftige Übelkeit befiel mich, ich legte mich der Länge nach auf den Boden. Nach einer Weile hörte ich: "Essen mußt du, nicht wahr?"
    "Ja, ja."
    Ich hörte zu, ich klammerte mich an ihre Stimmen, ich hatte Angst, daß sie schweigen würden. "Der liebe Gott hätte uns Deutschen keinen Magen machen sollen."
    "Oder aber einen Magen, der Sand frißt, wie die verdammte Maschine."

    Jemand lachte, ich schloß die Augen und dachte: 'Der kleine Braunhaarige heißt Edmund.' Meine Knie zitterten. "Dir ist wohl nicht gut?"
    Ich schlug die Augen auf. Eine lange, spitze Nase beugte sich über mich. Es war Siebert. Ich bemühte mich zu lächeln und fühlte, wie die Kruste platzte, die der Zementstaub und der Schweiß auf meinen Backen gebildet hatten. "Es geht wieder."
    Und ich setzte hinzu: "Danke schön."
    "Das ist gratis", sagte Siebert. "Zitronenschale"
    lachte. Ich schloß wieder die Augen, ein schriller Pfiff zerriß die Luft, ein paar Sekunden verstrichen, ich kam nicht hoch, dann fühlte ich, wie mich jemand an den Schultern rüttelte. "Los, komm!"
    sagte Siebert. Schwankend erhob ich mich, nahm meine Schaufel und sagte halblaut: "Ich verstehe das nicht. Ich war doch immer kräftig."
    "Ach was", sagte "Zitronenschale", "das hat mit der Kraft nichts zu tun, sondern mit dem Essen. Wie lange warst du denn arbeitslos ?"
    "Vier Wochen."
    "Na ja, wie ich sage, es kommt aufs Essen an. Sieh doch die verdammte Maschine. Wenn du ihr nichts zu fressen gibst, funktioniert sie auch nicht. Aber die, Mensch, die wird gepflegt! Die wird gefüttert! Die ist auch Geld wert."
    Siebert senkte den linken Arm, der Motor brummte, die riesige Schraube zu unseren Füßen fing an, sich langsam zu drehen. "Zitronenschale"
    warf eine Schaufel voll Sand hinein. "Vorwärts!"
    sagte er voller Haß. "Friß!"
    "Da, alte Hure!"
    sagte Edmund. "Da!"
    sagte ,Zitronenschale'. "Friß! Friß!"
    "Friß und krepiere!"
    sagte Edmund. Es regnete Sand. Ich dachte: 'Edmund, er heißt Edmund.' Es trat Schweigen ein. Ich warf einen Blick auf "Zitronenschale". Er strich mit dem Daumenrücken über seine Stirn und schüttelte den Schweiß von der Hand ab. "Ach was", sagte er bitter, "wir werden krepieren!"
    Meine Arme waren ohne Kraft. Jedesmal, wenn ich die Schaufel hob, zitterte ich. Ich empfand eine Leere, ich hörte nichts mehr und fragte mich ängstlich, ob sie wohl weitersprechen würden. "Hugo", sagte "Zitronenschale". Es

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