Der Tod ist mein Beruf
Stich, den mein Vater mit Reißnägeln an der Klosettür befestigt hatte, betrachtet. Mir ging ein blendendes Licht auf. Ich begriff jetzt alles. Das war er. Der Instinkt meiner Kindheit hatte mich nicht getäuscht. Ich hatte recht gehabt, ihn zu hassen. Mein einziger Irrtum war gewesen, auf die Versicherung der Priester hin zu glauben, daß es ein unsichtbarer Geist sei, den man nur durch Gebet bekämpfen könne, durch Klagelieder oder kultische Gebräuche. Aber jetzt begriff ich, daß er sehr wirklich, sehr lebendig war, daß man ihm auf der Straße begegnete. Der Teufel war nicht der Teufel, der Teufel war der Jude. Ich stand auf, ein Schauer überlief mich vom Kopf bis zu den Füßen. Meine Zigarette verbrannte mir die Finger. Ich warf sie weg. Dann steckte ich meine zitternden Hände in die Taschen, stellte mich ans Fenster und atmete mit vollen Lungen. Ich fühlte Sieberts Arm an meinem, und seine Kraft ging in mich über. Sieberts beide Hände lagen auf der Schutzstange. Er sah mich nicht an, rührte sich nicht. Rechts von mir ging die Sonne in einer Orgie von Blut unter. Ich drehte mich um, ergriff meine Pistole, hob sie langsam bis zur Horizontalen und zielte auf die Sonne. "Das ist eine gute Waffe", sagte Siebert, und seine Stimme klang zart und verhalten. Ich sagte leise: "Ja", und legte die Pistole auf den Tisch zurück. Im nächsten Augenblick ergriff ich sie wieder. Ihr Kolben lag schwer und vertraut in meiner hohlen Hand, sie sah hart und wirklich aus, ihr Gewicht lastete in der Hand, und ich dachte: 'Ich bin Soldat. Was kommt es auf die Uniform an? Ich bin Soldat.'
Der nächste Tag war ein Sonntag, und ich mußte bis zum Montag warten, um nach der Arbeit auf das Standesamt gehen zu können. Hinter der Schranke unterhielt sich ein Beamter mit einem kleinen Kinnbärtchen und Stahlbrille mit einem weißhaarigen Mann. Ich wartete, bis er zu Ende war, und sagte: "Ich bitte um Änderung im Personenstandsregister ."
Der Beamte mit der Stahlbrille sagte, ohne mich anzusehen: "Worum handelt es sich?"
"Um Kirchenaustritt."
Die beiden Männer blickten gleichzeitig auf. Dann wandte sich der Beamte mit der Brille zu seinem Kollegen um und schüttelte leicht den Kopf. Dann sah er wieder mich an. "Unter welcher Konfession waren Sie eingetragen?"
"Katholisch."
"Und Sie sind nicht mehr katholisch?"
"Nein."
"Welche Religion wollen Sie eintragen lassen?"
"Keine."
Der Beamte blickte den Weißhaarigen an und schüttelte den Kopf. "Warum haben Sie bei der letzten Volkszählung keine Erklärung in diesem Sinne abgegeben?"
"Ich bin nicht mitgezählt worden."
"Warum nicht?"
"Ich war in Kurland in einem Freikorps."
Der Weißhaarige nahm ein Lineal und gab sich damit leichte Schläge auf die innere Fläche seiner linken Hand. Der Beamte sagte: "Das ist vollkommen vorschriftswidrig. Sie hätten eine Erklärung abgeben müssen. Und jetzt sind Sie im Nachteil."
"In den Freikorps wurde keine Zählung vorgenommen."
Der Beamte schüttelte mit ärgerlichem Gesicht den Kopf. "Ich werde diese Sache melden. Das ist unzulässig. Eine Volkszählung ist ganz allgemein. Selbst die Herren von den Freikorps waren davon nicht ausgenommen."
Es entstand ein Schweigen, bis ich sagte: "Ich bin im Jahre 1916 mitgezählt worden."
Der Beamte sah mich an, seine Brillengläser blitzten. "Und warum sind Sie damals als Katholik eingetragen worden?"
"Meine Eltern haben es eintragen lassen."
"
Wie alt waren Sie da?"
"Sechzehn Jahre."
Er blickte mich an. "Sie sind also zweiundzwanzig Jahre alt."
Er seufzte, wandte sich zu seinem Kollegen, und beide schüttelten den Kopf. "Und jetzt", fragte nochmals der Beamte, "sind Sie nicht mehr katholisch ? "
"Nein."
Er schob seine Brille auf die Stirn. "Warum nicht?"
Ich war der Meinung, daß er seine Befugnisse überschritt, indem er diese Frage stellte, und sagte hastig und scharf: "Meine philosophischen Überzeugungen haben sich geändert."
Der Beamte sah seinen Kollegen an und flüsterte ihm zu: "Seine philosophischen Überzeugungen haben sich geändert!"
Der Weißhaarige zog die Augenbrauen hoch, öffnete den Mund ein wenig und schüttelte den Kopf. Der Beamte wandte sich wieder zu mir. "Nun, dann warten Sie die nächste Volkszählung ab, um Ihren Kirchenaustritt zu vollziehen."
"Ich möchte nicht zwei Jahre warten."
"Warum nicht?"
Da ich nicht antwortete, fuhr er fort, als ob er die Unterhaltung beenden wollte: "Sie sehen, es ist nicht so eilig."
Ich sah ein, daß ich für meine
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