Der Tod ist mein Beruf
auf meine Backe. Der Schlag war so kräftig, daß ich taumelte. Sieberts Linke erwischte mich beim Hemd, und er ohrfeigte mich von neuern. Dann stieß er mich zurück, und ich fiel auf den Stuhl. Meine Backen brannten, in meinem Kopf drehte sich alles, ich fragte mich, ob ich nicht vom Stuhl aufstehen und mich auf ihn stürzen sollte. Ich rührte mich aber nicht, eine ganze Sekunde verstrich, Siebert stand vor mir, eine glückliche Betäubung überfiel mich. Siebert sah mich an, seine Augen funkelten, und ich sah, wie seine Kinnmuskeln sich bewegten. "Schweinehund!"
sagte er. Er vergrub seine Hände in den Taschen, fing an, im Zimmer herumzulaufen, und schrie aus vollem Halse: "Nein! Nein! Nein!"
Dann sah er mich wieder mit flammenden Augen an. "Du!"
schrie er. "Du! Du, ein alter Freikorpsmann!"
Er drehte sich so wütend um, daß ich glaubte, er wolle sich auf mich stürzen.
"Hör zu! Deutschland ist nicht futsch! Nur ein Schweinehund von einem Juden kann sagen, daß es futsch ist. Der Krieg geht weiter, verstehst du? Sogar nach dieser Schweinerei, dem Diktat von Versailles, geht er weiter!"
Er fing von neuem an, wie ein Irrer im Zimmer herumzulaufen. "Herrgott", schrie er, "das ist doch klar."
Er rang nach Worten, seine Kiefernmuskeln bewegten sich unaufhörlich, er ballte die Fäuste und fing plötzlich an zu schreien: "Es ist klar! Es ist klar!"
"Da", sagte er und zog eine Zeitung aus der Tasche, "ich bin kein Redner, da drin steht es schwarz auf weiß."
Er fuchtelte mir mit der Zeitung vor der Nase herum. "Deutschland wird zahlen! Das haben sie sich so gedacht. Sie wollen uns unsre ganze Kohle nehmen. Das haben sie sich jetzt ausgedacht. Sieh hier, da steht es schwarz auf weiß. Sie wollen Deutschland vernichten."
Und plötzlich fing er an zu brüllen: "Und du, du Schweinehund, willst dir das Leben nehmen."
Er schwenkte die Zeitung in seiner rechten Hand und schlug sie mir ins Gesicht. "Da", rief er, "lies! Lies! Lies laut!"
Er zeigte mit zitterndem Finger auf einen Artikel, und ich fing an zu lesen. "Nein, Deutschland ist nicht besiegt. .."
"Steh auf, Schweinehund!"
rief Siebert. "Steh auf, wenn du von Deutschland sprichst!"
Ich stand auf. "Deutschland ist nicht besiegt. Deutschland wird siegen. Der Krieg ist noch nicht zu Ende. Er hat nur andere Formen angenommen. Die Armee ist auf ein Nichts reduziert, und die Freikorps sind aufgelöst. Aber jeder deutsche Mann, mit oder ohne Uniform, muß sich noch als Soldat betrachten. Mehr als je wird an seinen Mut, an seine unbeugsame Entschlossenheit appelliert. Wer keinen Anteil am Schicksal des Vaterlandes nimmt, verrät es. Wer sich der Verzweiflung hingibt, desertiert angesichts des Feindes. Die Pflicht jedes deutschen Mannes ist, für das deutsche Volk und das deutsche Blut zu kämpfen und zu sterben, wo immer er steht."
"Donnerwetter", sagte Siebert, "man könnte glauben, das wäre für dich geschrieben."
Niedergeschmettert blickte ich auf die Zeitung. Es war wahr: Das war für mich geschrieben. "Das ist doch klar", sagte Siebert, "du bist Soldat. Du bist immer noch Soldat. Was kommt es auf die Uniform an? Du bist Soldat!"
Mein Herz begann heftig in der Brust zu schlagen, und ich stand unbeweglich da, wie angenagelt. Siebert sah mich aufmerksam an, dann lächelte er, Freude überzog sein Gesicht, er schlang seine Arme um meine Schultern, es lief mir warm über den Rücken, und er schrie wie ein Irrer: "Das ist doch klar!"
Ich sagte leise: "Laß mich!"
"Du lieber Gott", sagte er, "du wirst doch nicht ohnmächtig werden?"
"Laß mich!"
Ich setzte mich, nahm den Kopf in die Hände und sagte: "Ich schäme mich, Siebert."
Und eine köstliche Erleichterung überkam mich. "Ach was!"
sagte Siebert verlegen. Er drehte mir den Rücken zu, nahm eine Zigarette, brannte sie an und stellte sich ans Fenster; ein langes Schweigen folgte, dann stand ich auf, setzte mich an den Tisch und ergriff mit zitternder Hand die Zeitung. Ich sah nach dem Titel. Es war der "Völkische Beobachter". Auf der ersten Seite sprang mir eine Karikatur in die Augen. Sie stellte den internationalen Juden dar, der dabei war, Deutschland zu erwürgen. Ich betrachtete fast zerstreut die Einzelheiten im Gesicht des Juden, und plötzlich war mir, als erhielte ich einen Stoß von unerhörter Heftigkeit. Ich erkannte ihn, ich erkannte diese wulstigen Augen, diese gebogene lange Nase, diese weichen Backen, diese verhaßten, abstoßenden Züge. Ich hatte sie einst oft genug auf dem
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