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Der Tod ist mein Nachbar

Der Tod ist mein Nachbar

Titel: Der Tod ist mein Nachbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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diejenige, die zu einer kleinen Küche führte, und kam mit einem Krug Wasser zurück.
    »Ich hätte Ihnen sonst – ohne Wasser! – Gesellschaft geleistet, aber ich habe bei der Abendandacht die zweite Lesung …« (jetzt sah auch Cornford auf seine Armbanduhr) »… wir können uns deshalb nicht allzulange aufhalten. Es ist der Text aus dem Römerbrief, Kapitel dreizehn. Über die Trunkenheit. Vielleicht kennen Sie ihn ja …«
    »Äh – wenn Sie mir kurz auf die Sprünge helfen könnten …«
    Cornford rezitierte ohne Vorlage und mit eindrucksvoll kirchlicher Intonation:
     
    »Lasset uns ehrbar wandeln als am Tage; nicht in Fressen und Saufen, nicht in Kammern und Unzucht, nicht in Hader und Neid …«
     
    »Sie lesen also aus der King James-Fassung?«
    »Selbstverständlich! Ich selbst bin Agnostiker, aber ich finde es sehr traurig, daß so viele unserer christlichen Brüder sich für eine dieser neumodischen Übersetzungen entschieden haben. Wahrscheinlich ist dort von ›Schlucken und Bumsen‹ die Rede.«
    Morse trank zufrieden seinen Scotch. Es lag ihm auf der Zunge, Cornford die Version »Sux and Fux« anzubieten, aber dann hielt er doch lieber den Mund.
    Cornford lächelte. »Was wollten Sie mit mir besprechen?«
    »In gewisser Weise geht es um den letzten Teil Ihres Textes, wo von ›Hader und Neid‹ die Rede ist. Wie ich höre, kandidieren Sie für das Amt des Master …«
    »Ja?«
    Morse holte tief Atem, tat einen weiteren tiefen Zug und informierte Cornford über den Mord an Owens. Verschiedene Unterlagen aus dessen Haus, sagte er, deuteten auf eine systematische Erpressungskampagne hin, und es gäbe Grund zu der Annahme, daß Cornford eins der potentiellen Opfer war.
    Cornford nickte nachdenklich. »Sind Sie Ihrer Sache sicher?«
    »Nein, das nicht, aber …«
    »Aber Sie müssen Ihre Pflicht tun.«
    »Sie selbst haben keine Erpresserbriefe erhalten?«
    »Nein.«
    »Lassen Sie mich eine sehr direkte Frage stellen: Gibt es in Ihren Augen irgend etwas in Ihrer unmittelbaren oder ferneren Vergangenheit, das Sie kompromittieren oder womöglich Ihre Kandidatur gefährden könnte?«
    Cornford überlegte. »Ich habe – wie wohl jedermann – das eine oder andere getan, worauf ich nicht besonders stolz bin, aber ich denke, daß ich mich meist auf einigermaßen anständige Art aus der Affäre gezogen habe. Außerdem war das in einem anderen Land, und …«
    Morse ergänzte das Zitat: »… und überdies: Die Dirn ist tot. «
    Cornford sah aus seinen hellgrauen Augen Morse fast kindlich-unschuldig an.
    »Ja.«
    »Möchten sie mit mir darüber sprechen?«
    »Nein. Aber nur deshalb nicht, weil es für mich peinlich und für Sie Zeitverschwendung wäre.«
    »Sie sind verheiratet?«
    »Ja. Und ehe Sie es von anderer Seite erfahren, will ich Ihnen gleich sagen, daß meine Frau Amerikanerin, etwa halb so alt wie ich und äußerst attraktiv ist.« Die Stimme klang noch immer lässig-locker, aber Morse hatte das Gefühl, daß Cornford durchaus auch entschlossenere Töne anschlagen konnte.
    »Und Ihre Frau hat auch niemand mit Briefen, anonymen Briefen vielleicht, belästigt?«
    »Sie hat mir nichts erzählt.«
    » Würde sie es Ihnen erzählen?«
    Kam Cornfords Antwort eine Spur zögerlich?
    »Ich denke ja. Aber da müßten Sie sich schon an sie selbst wenden.«
    Morse nickte. »Es ist ein bißchen lästig, ich weiß, aber wir kommen wohl nicht darum herum. Sie ist nicht zufällig hier?«
    Cornford sah erneut auf seine Armbanduhr.
    »Sie muß gleich kommen. Wir wollen zusammen in die Kirche.«
    »Bestehen Spannungen zwischen Ihnen und – äh – dem anderen Kandidaten?«
    »Beim Essen gibt es hin und wieder unbehagliche Momente, aber das ist ja nicht anders zu erwarten.«
    »Aber zu wüsten Beschimpfungen wie zwischen den Kontrahenten bei einem großen Boxkampf kommt es nicht?«
    »Allenfalls in Gedanken.«
    »Keine Flüsterkampagnen? Keine Gerüchte?«
    »Nicht daß ich wüßte.«
    »Und Sie kommen persönlich ganz gut mit Mr. Storrs zurecht?«
    Cornford stand auf, legte den Kopf ein bißchen schief und lächelte erneut.
    »Ich kenne Julian im Grunde nicht sehr gut …«
    Jetzt hörte man die Glocke zur Abendandacht läuten. Es war ein eintöniger, melancholischer, fast unheilverkündender Klang. Noch zehn Minuten.
    »Zur Kirche kommt, ihr Leute,
    Zum Beten und Verzeih ’ n ! «
    zitierte Cornford.
    Morse nickte und stellte eine letzte Frage.
    »Wann sind Sie heute früh aufgestanden, Sir?«
    »Recht früh,

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