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Der Tod ist mein Nachbar

Der Tod ist mein Nachbar

Titel: Der Tod ist mein Nachbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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unterbrachten, während sie selbst in früheren Kolonien, Protektoraten, Mandatsgebieten und den wenigen verbliebenen britischen Überseebesitzungen von einem Posten zum anderen geschoben wurden.
    Plummer hatte diesen Ehrenplatz noch nie innegehabt und sah, zwischen Mr. und Mrs. Storrs sitzend, aus diesem ganz neuen Blickwinkel mit besonderer Anteilnahme auf die nur matt beleuchteten Porträts der berühmten Ehemaligen in ihren Goldrahmen, der Dichter und Politiker, der Soldaten und der Wissenschaftler, die in der Geschichte von Lonsdale eine so große Rolle gespielt hatten. Die hohe Balkendecke verlor sich in der Dunkelheit, und auch die holzvertäfelten Wände waren in tiefen Schatten getaucht, während die Hausdiener geschickt und ehrerbietig Wein in die funkelnden Gläser gossen.
    Storrs besann sich – ein bißchen spät vielleicht – auf seine Gastgeberrolle.
    »Wo ist Ihr Vater jetzt, Plummer?«
    »Soviel ich weiß, hat er zuletzt ein NATO-Manöver in Belgien geleitet.«
    »Inzwischen ist er Colonel, nicht?«
    »General.«
    »Alle Achtung!«
    »Sie waren zusammen in Indien, nicht?«
    Storrs nickte. »Allerdings habe ich es nur zum Captain gebracht. Ich bin meinem Vater in die Royal Artillery gefolgt und habe zwei Jahre lang versucht, den Eingeborenen das Schießen beizubringen. Leider war es kein voller Erfolg.«
    »Für die Eingeborenen?«
    Storrs lachte gutmütig. »Nein, es lag an mir. Von den meisten Eingeborenen hätte ich noch was lernen können. Ich war wohl fürs Militär sowieso nicht geeignet. Deshalb bin ich auf ein zahmeres Leben umgestiegen und habe mich hier um eine Professur beworben.«
    Angela Storrs war mit ihrer Hummersuppe fertig und beglückwünschte Plummer zu der Kantate, die er in der Kirche mit seinem hauptsächlich aus Frauenstimmen bestehenden Chor dirigiert hatte. »Es hat Ihnen also gefallen, Mrs. Storrs?«
    »Ja, schon … Aber ehrlich gesagt sind mir Knabensoprane lieber.«
    »Und warum?«
    »Es ist einfach ein Gefühl … Gestern abend haben wir das Requiem von Fauré gehört. Es war phantastisch. Besonders das ›In Paradisum‹, stimmt’s, Julian?«
    »Ja, wirklich hervorragend.«
    »Und wissen Sie was?« fuhr Angela fort. »Ich hätte sogar mit geschlossenen Augen gewußt, daß es Jungen sind. Fragen Sie mich nicht, warum. Man spürt so etwas, finden Sie nicht? Es bringt nichts, wenn man versucht, alles mit dem Verstand zu erklären.«
    Drei Plätze weiter flüsterte ein anderer Fellow seinem Nachbarn ins Ohr:
    »Wenn diese Person sich in der Master’s Lodge einnistet, pinkel ich ihr in die Primeln.«
     
    Zufälligerweise war auch am anderen Ende des Tisches, wo Denis Cornford sich etwas zerstreut die Ausführungen eines Gastprofessors für Geschichte aus Harvard anhörte, während seine Frau schweigend danebensaß, von Kolonialismus die Rede.
    »Gehen Sie nicht zu streng mit sich ins Gericht. So schlecht haben die Briten die Eingeborenen gar nicht behandelt, Denis!«
    »O doch«, widersprach Cornford. »Ich habe mich mit dem Thema nicht eingehend befaßt, aber ich habe den Eindruck, daß die Briten die meisten ihrer Untertanen in den Kolonien empörend schlecht behandelt haben.«
    Shelly steckte die linke Hand unter das gestärkte weiße Tischtuch und streifte sanft über seinen Schenkel, konnte aber keine Reaktion feststellen.
     
    Am Kopfende der massiven Eichenplanke, die als Tischplatte für die erhöhte Tafel diente, hatte sich Sir Clixby beim Lammbraten, zu dem ein 93er St. Julien gereicht wurde, nach Kräften bemüht, den Bischof zu besänftigen, der sich heftig darüber ereiferte, daß die englischen Prüfungsausschüsse von Flüchtlingskindern aus Ruanda profunde Kenntnisse der Rosenkriege erwarteten, und hatte damit erreicht, daß sich nach dem Dessert die Lage merklich entspannt hatte.
    Die Gespräche, die – amüsant, interessant, selbstgefällig oder boshaft – den Abend über hin- und hergegangen waren, verstummten jäh, als der Master sein Hämmerchen schwang und die Anwesenden sich erhoben.
    Benedictus benedicatur.
    Die Worte kamen mühelos-geläufig von etwas zu roten, etwas zu vollen Lippen in einem glatten Gesicht, das aussah, als habe es nur selten eine Rasur nötig.
    Wer wollte – und das wollten die meisten –, konnte sich nun in den Senior Common Room begeben, wo ganz zwanglos Portwein und Kaffee gereicht wurden. Der Master und Julian Storrs standen, das Hinterteil dem erstaunlich realistischen Kaminfeuer zugewandt, fast auf Tuchfühlung

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