Der Tod ist mein Nachbar
legte und sich auf das (zweifellos lukrativere) Gebiet der Pornographie wagte.
Mit dem verlockenden Gedanken aber, den Roman mit dem pikanten Titel kurz entschlossen zu beschlagnahmen, spielte Morse nur einige wenige Minuten, denn als er endlich in den Five Mile Drive hineinfahren konnte, meldete sich sein Autotelefon. Er fuhr links heran, denn zwei Dinge gleichzeitig so zu tun, daß ein befriedigendes Ergebnis herauskam, war ihm schon immer schwergefallen. Am Apparat war ein aufgeregter Lewis, der sich aus der Redaktion meldete.
»Ich habe gerade mit dem Personalchef gesprochen, Sir. Er war es.«
»Wer war was, Lewis?«
»Ich hatte nicht Owens an der Strippe, sondern den Personalchef.«
Morse schwieg einen Augenblick, dann sagte er mit geheuchelter Demut: »Ich sollte öfter auf Sie hören, Lewis.«
»Besonders überrascht sind Sie aber nicht?«
»Es gibt nicht mehr viel in diesem Leben, was mich überraschen könnte, Lewis. Wichtig ist, daß wir jetzt allmählich der Sache auf den Grund kommen. Gut gemacht.«
»Ihre junge Dame hängt also nicht mit drin.«
»Vermutlich nicht.«
»Hat Sie Ihnen was Wichtiges erzählt?«
»Schwer zu sagen … Wir wissen, daß Owens etwas gegen Storrs in der Hand hatte, und es wäre möglich, daß er auch gegen Cornford etwas in der Hand hatte.«
»Was hat denn der damit zu tun?«
»Unsere junge Tory-Schönheit behauptet, sie hätte ihn am Donnerstag in Owens’ Haus gehen sehen.«
»Verdammt!«
»Ich bin auf dem Weg ins Präsidium, danach will ich zu den Cornfords. Wenn ich einen Parkplatz kriege.«
»Beim letztenmal haben Sie sich auf den Gehsteig vor das Clarendon Building gestellt.«
»Schönen Dank für den Hinweis, Lewis. Das war mir schon fast wieder entfallen.«
»Aber Ihre Spritze hoffentlich nicht?«
»Aber nein, die mache ich jetzt schon fast automatisch«, sagte Morse, der die am Mittag fällige Injektion total vergessen hatte.
Das Telefon läutete, als Morse die Tür zu seinem Büro aufmachte.
»Ich habe Sie kommen sehen«, erläuterte Strange.
»Was kann ich für Sie tun?«
»Es geht um diese Formulare, die ich für den Rentenantrag ausfüllen muß. Sie machen mir ganz schön Kopfzerbrechen.«
»Mir auch.«
»Zumindest wissen Sie, wie man mit so was umgeht.«
»Können wir das noch ein bißchen aufschieben? Neuerdings tue ich mich etwas schwer damit, zwei Sachen auf einmal zu machen, und ich muß gleich nach Oxford.«
»Natürlich, es hat ja noch ein bißchen Zeit. Aber vergessen Sie nicht, daß Sie auch bald dran sind!«
Der Bloxham Drive war noch abgesperrt, die Polizeipräsenz nach wie vor deutlich wahrnehmbar. Adele Beatrice Cecil aber – alias Ann Berkeley Cox, Verfasserin von T o pless in Torremolinos – wurde von einem Constable durchgewinkt, so wie die Polizisten vor vierzehn Tagen, an dem Morgen, als Rachel James ermordet worden war, Geoffrey Owens durchgewinkt hatten.
Als sie die Tür zu Nummer 1 aufschloß, schlug ihr dumpfe Kälte entgegen. Warum hatte sie auch die Heizung abgestellt? Wie schön wäre es gewesen, sich jetzt gleich in ein heißes Bad, in ein mit einer elektrischen Heizdecke vorgewärmtes Bett oder in die Arme eines Liebhabers zu begeben …
Sie beschäftigte sich mehrere Minuten lang mit Morse und den Fragen, die er ihr gestellt hatte. Was um Himmels willen hatte er von ihr gedacht? Allein in ihrem kalten Haus fing sie plötzlich an zu zittern.
55
Einem Außenseiter mag es scheinen, daß der durchschnittliche Hochschullehrer in Oxford und Cambridge von den 52 Wochen des Jahres nur 24 mit Arbeit verbringt. Wenn man irgendwann im Laufe des akademischen Jahres Mühe hat, den Aufenthaltsort eines solchen Individuums zu ermitteln, braucht dieser Umstand kein Anlaß zur Sorge zu sein.
( Analyse der Arbeitsbelastung von Hochschullehrern,
hg. von Harry Judge)
Am selben Nachmittag kurz nach vier läutete Morse an der rot gestrichenen Haustür eines vornehmen, mit Bruchstein verkleideten Hauses gegenüber dem Holywell Music Room. Daß es das richtige Haus war, erkannte man schon daran, daß das Wappen von Lonsdale zwischen den Fenstern des mittleren und oberen Geschosses angebracht war.
Doch auf sein Klingeln rührte sich nichts.
Morse machte kehrt und ging über den kopfsteingepflasterten Radcliffe Square zur Pförtnerloge. »Wissen Sie, ob Dr. Cornford im Haus ist?«
Der Pförtner wählte eine Nummer, dann schüttelte er den Kopf.
»Scheint nicht in seinem Büro zu sein, Sir.«
»War er
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