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Der Tod kann mich nicht mehr überraschen

Der Tod kann mich nicht mehr überraschen

Titel: Der Tod kann mich nicht mehr überraschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Vullriede
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hätten ihn besser vorbereiten müssen.«
Inas gerötete Wangen zeugten von der Aufregung, die sie durchlitt.
Marvin winkte ab. »Ich bitte euch! Er ist ein Kind. Du siehst gut aus. Hast du schon wieder eine neue Frisur?«
Ina fasste sich geschmeichelt an den kurzen Rotschopf. »Aber nein! Doch ich habe fünf Kilo abgenommen.«
In der Tat fand Marvin sie schlanker als zuvor, etwas zu schlank für seinen Geschmack. Doch sie sah hinreißend jung aus in ihrer jugendlichen Kleidung und dem gar nicht mütterlich wirkenden Geklimper an ihren Ohren. Carsten, ein großer sportlicher Mann, lächelte stolz, obwohl er wusste, dass sie eigentlich zu dünn war. Eine Diskussion darüber aber wollte Marvin mit ihm jetzt nicht wieder führen.
»Mama … Mama!«, rief Tobias leise und winkte von seinem Besucherstuhl aus mit dem Finger nach seiner Mutter.
Ina folgte ihm und er versuchte, ihr etwas ins Ohr zu flüstern, doch sie verstand ihn nicht.
Tobias verdrehte die Augen.
»Oh Mann!«, seufzte der Kleine, rutschte ein paar Mal auf dem Stuhl hin und her und erhob seine Stimme zu einem genervten hellen Zischton. »Warum ist der Marvin jetzt nicht tot?«
Ina zuckte. Marvin auch.
»Du meinst, weil Onkel Marvin so stark geblutet hat?«
»Ja!«
Die Erwachsenen im Raum lächelten – irgendwie erleichtert –, weil die Frage mit Blick auf das viele Blut auf dem Bett natürlich eine gewisse Berechtigung aus der Sicht des Kindes besaß.
Marvin winkte Tobias zu sich heran. Nach der Verlockung mit einem Stück eingepackten Kuchen vom Vortag blieb der Junge kauend und krümelnd auf der Bettkante sitzen. Er schaukelte brav ein wenig mit den Beinen.
»So ein bisschen Blutverlust bringt deinen Onkel Marvin nicht um. Das sah nach viel mehr aus, als es wirklich war. Wobei ist das denn passiert?«
Marvin klopfte vorsichtig auf den kleinen Gips, während er seinen eigenen verkrampften Arm versteckte. Tobias sah ihn mit vollgestopften Backen an. Sein Versuch, etwas zu sagen, erstickte im Kuchenkauen und der Mühe, die zwischen seinen Lippen herausfallenden Krümel aufzuhalten, was ihm nicht vollständig gelang. Schmatzend und stopfend zappelte er ungeduldig auf der Bettkante herum, bis er den größten Teil des Kuchens in seinem kleinen Mündchen zermalmt hatte. Schließlich rief er etwas unverständlich aus: »Beim Krebsspielen!«
»Du hast dir beim Krebsspielen den Arm gebrochen?«
Marvin war völlig perplex.
»Ja – ich hab’ gespielt, ich kann nicht richtig laufen und bin die Treppe runter gefallen!«
Dann sprang der Kleine vom Bett und begann interessiert am Rollstuhl herumzufingern, der am Besuchertisch stand. Die Gelegenheit für die Erwachsenen, ein paar ernste Worte zu wechseln. Doch alle Anwesenden, Marvin inklusive, richteten ihre Blicke weiterhin schweigend auf das Kind. Schließlich ging Carsten zum Fenster. Draußen regnete es mal wieder.
»Ist es nicht ein wechselhaftes Wetter zurzeit?«
»Ja – es ist wie im April, findest du nicht auch?«, pflichtete Ina bei, die ihm zum Fenster gefolgt war.
Auch sie schien den Blick nach draußen demjenigen in Marvins Augen vorzuziehen.
»Ich bekomme hier vom Wetter nicht allzu viel mit«, bemerkte Marvin ehrlich.
»Was macht man hiermit?«, fragte Tobias, der sich immer noch mit dem Rollstuhl beschäftigte.
Jetzt drehten sich die beiden um. Fast übereifrig und viel zu detailliert erklärten sie dem Kind Funktion und Sinn eines Rollstuhls.
»Er ist immer so interessiert!«, strahlte Ina Marvin an.
»Das muss er! Er ist fünf Jahre alt.«
Vom Aufstützen angestrengt, lehnte sich Marvin wieder an sein Kopfende zurück. Er hörte sich noch viele kleine Anekdoten über den Kleinen an und allerhand über dessen Entwicklung, seine sozialen Kontakte im Kindergarten, seine Wünsche zum Geburtstag … und es passierte, dass seine Augen immer schwerer wurden. Es war einer seiner müden Tage heute. Die Stimmen seiner Verwandten wurden leiser und monoton. Sie klangen schon ganz weit weg, als er plötzlich die helle Stimme des Jungen vernahm.
»Ist Onkel Marvin jetzt tot?«
Marvin hätte fast die Augen aufgerissen, doch er ließ sie zu. Das ersparte ihm den Anblick der peinlich Berührten und enthob ihn und die anderen jedes weiteren Gesprächsdruckes.
»Aber Tobias, so etwas sagt man doch nicht!«, flüsterte Ina. »Onkel Marvin schläft doch nur.« Und: »Ist das nicht alles schrecklich, Carsten. Hast du seinen Arm gesehen? Und er ist so furchtbar dünn geworden. Das ist gar nicht mehr mein Bruder.«
Marvin

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