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Der Tod kann mich nicht mehr überraschen

Der Tod kann mich nicht mehr überraschen

Titel: Der Tod kann mich nicht mehr überraschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Vullriede
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einmal nicht so, wie man es gerne hätte. Jeder Mensch wünscht sich ja etwas anderes und das kann genau das Gegenteil von dem sein, was man sich selbst wünscht. Einem von beiden geschieht immer Leid.«
Erneut schwiegen sie ein paar Minuten. Wie früher waren sie wieder einmal an einem Punkt in ihrer Diskussion angelangt, an dem sie keine Gemeinsamkeit finden konnten. Und genau wie damals stoppten sie ihr Gespräch, um nicht in Streit zu geraten. Es war ein unausgesprochener Teil ihrer Freundschaft. Keiner von beiden würde jemals versuchen, den anderen zu etwas zu überreden. Marvin wechselte das Thema.
»Was ist eigentlich aus deinem Projekt für junge Obdachlose geworden, Karl? Das lief doch damals richtig gut an, als wir uns das letzte Mal sahen.«
Karl hob die Brauen und runzelte die Stirn. »Oh, das lief wirklich gut damals. Wir hatten eine lange erfolgreiche Zeit. Es wurde ja auch großzügig unterstützt von der Stadt und auch die Spendengelder flossen anfangs gebefreudig. So manchen jungen Menschen, der bei uns Hilfe suchte, konnten wir später in eine Ausbildung vermitteln. An einige von ihnen denke ich heute noch.«
»Klingt, als wäre das Projekt vorüber.«
Karl seufzte lang gezogen. »Tja, zwischenzeitlich kürzte die Stadt die Zuschüsse und die Spendengelder blieben aus. Wie das so ist. Mit den paar Kröten von der Kirche konnten wir gerade mal die Miete zahlen. Wir mussten schließen und sechs wirklich traurige Fälle fielen auf die Straße zurück, mit allem Drum und Dran. Das bedeutet Drogensucht, Alkoholsucht, Prostitution und was du dir sonst noch Grauenhaftes vorstellen kannst. Es war eine echte Tragödie.« Karl schüttelte traurig den Kopf. »Das Schlimmste war, dass es jemanden gab, der uns zumindest für ein weiteres Jahr aus der finanziellen Misere hätte helfen können und eigentlich auch hätte müssen! Aber er tat es nicht. So war das eben.«
»Wieso müssen?«
Karl winkte verächtlich ab. »Es war einer der Jungen, die gleich zu Anfang des Projektes bei uns aufgefangen wurden.« Er fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. »Ich kann es bis heute nicht begreifen. Ich meine – wir haben ihn aufgefangen, haben ihn unterstützt, durch Drogenentzug und Ausbildung geschleppt und es war dann wirklich einer, der es geschafft hatte. Ich wusste gleich zu Anfang, dass er ein intelligenter Bursche war. Der Junge schaffte es nicht nur, er ging auch wieder zurück in sein wohlhabendes Elternhaus, wo vorher niemand mehr etwas von ihm wissen wollte. Und soll ich dir was sagen?« Er stoppte sich, da er merkte, dass er immer lauter redete. Räuspernd nahm er sich zurück. »Aus dem ehemaligen Sozialfall wurde ein reicher junger Mann. Derselbe Junge wagte es später, mir ins Gesicht zu sagen, dass er keine Sozialstation sei und er keine Lust hätte, sein Geld für irgendwelche Penner zu spenden. Ist das nicht bitter?«
»Bitter!«, bestätigte Marvin, wenig erstaunt über Karls Erregung. Soziale Ungerechtigkeiten hatten ihn schon immer maßlos empört. So kannte er ihn. So war Karl. Das gesamte Unrecht dieser Welt hätte er am liebsten weggesperrt.
»Und du erzählst mir etwas von ›einfach das Leben genießen‹. Wenn du das selbst könntest, Karl, würdest du dich über diese Projektsache nicht so aufregen. Da ist es eben mal nicht nach deinen Wünschen gelaufen. So ist das Leben!«
Marvin konnte sich das nicht verkneifen. Karl schwieg dazu.
Eine Weile überlegte Marvin, während er Karls ernste Miene betrachtete. Schließlich entschied er sich, ihm auch Frederiks Geschichte über den toten jungen Mann und den ungeheuren Verdacht zu erzählen.
»Und das ist nun ein Vorfall, der mich aufregt. Jetzt besitze ich die Telefonnummer von diesem André Hausner. Aber was sage ich, wenn jemand den Hörer abnimmt? Was würdest du tun?«
Karl sah ihn nachdenklich an. Er war wahrscheinlich der erste aufmerksame Zuhörer überhaupt in diesem Zimmer, abgesehen von Marvin selbst, als Frederik erzählt hatte.
»Wieso glaubst du, der Mann sei gewaltsam gestorben? Ich halte es für keine gute Idee, dort anzurufen«, sagte er dann. »Man wird dich für verrückt halten.«
Seine Antwort überraschte Marvin und ärgerte ihn. Insgeheim hatte er auf Unterstützung gehofft, auf jemanden, der ihm von außerhalb des Krankenhauses bei der Nachforschung helfen könnte. Doch Karls Antwort kühlte ihn auch ab. Ohne Zweifel, sein Ratschlag war ernst gemeint. Wahrscheinlich hatte Karl auch recht und niemand würde Marvin

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