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Der Tod kann mich nicht mehr überraschen

Der Tod kann mich nicht mehr überraschen

Titel: Der Tod kann mich nicht mehr überraschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Vullriede
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glauben.
Plötzlich kam Lisa herein, mit einem Sack voll gewaschener Handtücher und Wäsche, ganz außerhalb ihrer gewöhnlichen Besuchszeit. Marvin sah auf die Uhr. Sonst kam sie nicht vor sieben Uhr abends, jetzt war es gerade fünf. Sie musste ihr Büro früher verlassen haben. Karl stand auf, als sie näher kam. Ganz offensichtlich freute sich Lisa, ihn hier zu treffen. Sie erkannte ihn auch gleich, nach all den Jahren, und lachte – endlich wieder einmal. Eilig legte sie den Wäschesack auf dem Bett ab und die beiden begrüßten sich mit einer herzlichen Umarmung.
»Wie schön, dass du gekommen bist, Karl.«
»Die Freude liegt bei mir. Komm, setze dich!«
Er bot ihr seinen Stuhl an. Doch sie blieb stehen.
»Ich wollte nur schnell etwas frische Wäsche bringen und dann wieder gehen. Es gibt zu Hause einiges vorzubereiten für mich.«
»Ich weiß, du sagtest es am Telefon.«
Marvin, dem der Wäschesack auf seiner Bettdecke langsam schwer wurde, war erstaunt.
»Ihr beide habt miteinander telefoniert?«
Karl sah noch immer Lisa an und wirkte etwas abwesend.
»Deine Mutter erzählte mir von deiner Erkrankung und natürlich rief ich sofort bei Lisa an. Wir haben uns sehr lange unterhalten«, sagte er dann.
»Davon hast du mir ja gar nichts erzählt.«
»Habe ich nicht?«
Lisa zuckte die Schultern.
»Was musst du denn vorbereiten?«
Marvin war absolut ahnungslos, welcher Wochentag gerade war und welches Ereignis anstand.
Lisa lächelte zu ihm herunter.
»Aber Marvin! Hast du meinen Geburtstag am Sonntag vergessen? Ich wollte die Feier ja absagen, aber Karl meinte, es würde mir gut tun. Wir feiern zwar erst nächste Woche, die Zeit drängt aber. Es ist ja nicht irgendein Geburtstag.«
Ihr vierzigster Geburtstag! Wie konnte er das nur vergessen? Und Marvin hatte vor seinem Krankenhausaufenthalt nichts, wirklich gar nichts, für ihren großen Tag besorgt. Das mit den Tickets nach Stockholm hatte sich ja durch seine Krankheit erledigt. Wo und wie sollte er bis nächste Woche bloß noch etwas beschaffen? Er hatte nicht einmal genügend Geld bei sich.
»Ich könnte dir ein wenig zur Hand gehen«, bot Karl ihr an.
Lisa schien froh. »Oh ja, bitte. Es ist alles nicht so einfach für mich im Moment.«
Sie begann, sich zum Aufbruch bereit zu machen, legte ihre Tasche über die Schulter, schob Karls Stuhl ein Stück zurück und hakte sich bei ihm ein.
Marvin bemerkte es mit Unwillen.
»Lisa!«
»Ja?«
»Du hast mich noch gar nicht begrüßt.«
»Oh – entschuldige!«
Sie löste sich von Karl und gab Marvin einen Kuss auf die Wange, wobei ihre heiße Haut sein kühles Gesicht streifte. Wie schön ihre Berührung war. Herrlich, ihr warmer Atem wie ein Windhauch an seiner Wange. Er vermisste ihre Zärtlichkeit schon so lange. Ein Krankenhaus stellt keinen Ort dar, um auch noch so harmlose Zärtlichkeiten auszutauschen. Das lernte Marvin täglich, seit er hier lag. Allein das Streicheln einer Hand konnte er sehen, wenn er Patienten und Besucher beim Vorüberfahren in ihren Zimmern beobachtete. Bestenfalls gab es flüchtige Küsse oder das Streichen über das Haar des Kranken, so wie es auch Lisa gerade tat.
Sie zog ihren Kopf zurück und er fühlte sich noch wie benebelt.
Karl riss Marvin mit einem festen Handschlag aus seinen wehmütigen Gedanken. Doch er ließ Marvins Hand nicht sofort los.
»Wir sehen uns! Ich komme in den nächsten Tagen wieder.«
»Könnten wir das nächste Mal über Gott sprechen?«
Karl schien mit den Gedanken weiter weg, denn er zögerte auffallend lange.
»Natürlich, warum nicht?«
»Vielleicht bringst du dann das nächste Mal auch mehr Zeit mit.«
»Das werde ich ganz bestimmt! Bis später, Marvin.«
Er entließ Marvins Hand aus seinem festen Druck und ging.
»Bis später!«, rief Lisa, die inzwischen zum Gehen bereit an der Tür stand.
Marvin fühlte etwas Schweres auf seinen Beinen.
»Lisa!«
»Ja?«
Er zeigte auf das Bettende.
»Hast du nicht etwas vergessen?«
»Ach je – die Wäsche!«
Eilig kam sie zurück, nahm den Sack vom Bett und stellte ihn vor Marvins Spind ab.
»Das mache ich Morgen! Tschüss.«
Schon lief sie wieder zur Tür.
»Lisa?«
Sie drehte sich um, jetzt leicht genervt.
»Was ist denn noch?«
»Kannst du mir etwas Geld hier lassen? Für die Cafeteria.«
Mit zappeligen kleinen Fingern durchwühlte sie ihre Tasche zwischen Puder und Lippenstiften nach ihrem Portemonnaie. Schließlich nahm sie zwei Fünfzig-Euroscheine heraus und klatschte sie Marvin in die Rechte.
»Mehr habe ich

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