Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
ist, verkopfen wir uns eh nur.«
Die Wiesner schlägt vor, zumindest festzustellen, wer von den heutigen Bewohnern damals schon in der Siedlung gewohnt hätte.
»Falls es eine hohe Trefferquote gibt ...«
»Da kannst du sicher sein«, unterbricht der Hartinger. »Alles Sozialbau. Schaffst du dich selten nach oben. Wenn du arbeitest, kannst du die Miete nicht zahlen und musst in irgendein Loch umziehen, also wofür solltest du schuften? Bleibst lieber, wo du bist. Würde ich auch. Vielleicht sind ein paar gestorben oder rausgeschmissen worden, aber sonst ...«
»Vorurteile hast du keine, Hartinger?«
»Nein, wieso? Ist doch die Wahrheit.«
»Die Wahrheit kommt nie in der Einzahl daher, Hartinger«, mischt sich der Sandner ein. »Aber wenn du meinst – und was haben wir davon?«
Er hat nicht bemerkt, wie sich das Netz um ihn zugezogen hat. Gepackt ist er jetzt vom Jagdfieber. Keinen Gedanken verschwendet er mehr daran, dass BKA, LKA oder weiß der Geier welche Spezial- oder Sonderkoryphäen die klügere Adresse wären. Der Brauner hat das Blatt ausgeteilt, und sie hatten die Karten aufgenommen. Die Frage ist nur, wie die Trümpfe verteilt sind.
Seine Finger klopfen einen schnellen Rhythmus auf dem Aktendeckel. Zuerst gilt es, im Altenheim aufzuschlagen, und dann, den Fuhrer zu befragen. Wie kämen sie zu neuen Erkenntnissen aus dem Wohnblock? So wie ihn seine Kollegin anschaut, wird der Sandner zum Gedankenleser. Der erste Dominostein prallt gerade auf den nächsten. Er steht auf und macht ein paar Schritte hin zu den Regalen. Sogar Senecas Schriften hat der Brauner dort stehen. »Es hat keinen großen Geist ohne eine Beigabe von Verrücktheit gegeben.« Nero lässt grüßen. Gerade wäre der Sandner gern ein polizeilicher Kleingeist. Wobei das vor Verrücktheit nicht schützt.
Er reibt sich mit Daumen und Zeigefinger über die Brauen. Dann dreht er sich zu den vier Gestalten am Couchtisch um. An der Wiesner bleiben seine Augen hängen.
»Die sitzen da, und jemand trägt das Wissen vielleicht seit fünf Jahren mit sich herum – zumindest der mutmaßliche Mörder oder die Entführer«, wendet die sich an ihn.
»Und wir sitzen da, und wissen nix«, ergänzt der Brauner.
»Und wenn sich wer dazusetzen tät zu ihnen?«, fragt die Wiesner, »und gut hinhört?«
Alle Blicke sind plötzlich auf den Sandner gerichtet. Er schaut von einem zum anderen, bevor er sich wieder im Sessel niederlässt. Langsam, weil sein Fleisch nach der Boxeinlage schnelle Bewegungen schmerzhaft bestraft.
»Nicht euer Ernst.« Abwehrbereit verschränkt er die Arme. Sandnersches Felsgestein. Nichts zu holen.
»Des müsst aber augenblicklich sein«, meint der Brauner und jagt sich euphorisch den Schnupftabak in den Zinken. Kein ruhiges Händchen, die Hälfte des dunklen Pulvers bleibt als Bärtchen unter der Nase kleben. Gibt seinem Erscheinungsbild ungewollte Komik. Sein Taschentuch vertreibt den braunen Schlonz.
»Eine verdeckte Ermittlung?« Beim Wenzel fällt der Groschen. »Etwa ohne Genehmigung? Das muss jemand autorisieren.«
»Nur zu«, knurrt der Brauner. »Mach dich nützlich.«
»Momenterl«, bremst der Sandner, »angenommen, ich würd das machen. Angenommen sag ich rein hypothetisch, da müsst ich irgendwie hausen, sonst bringt das nix. Wenn ich hin- und herfahre, würde ich kein Gespür kriegen und die Leut nicht erwischen. Wenn man die Wohnungsgesellschaft fragen wür ...«
»Bekommst du vielleicht eine leere Wohnung«, fällt ihm die Kollegin ins Wort. »Das wäre aber unglaubwürdig, wenn du nicht wirklich einziehst. Außerdem – so kurzfristig nicht zu machen und wir müssten Figuren einweihen, die wir nicht einschätzen können.«
Wenzels Zeigefinger schnellt mahnend in die Höhe. »Hören Sie mal! Wenn Sie da auftauchen und Fragen stellen und der Entführer ist aus dem Umfeld, müsste er bescheuert sein, um nicht eins und eins zusammenzuzählen. Er könnte merken, dass Sie hier ermitteln. Er wird Sie manipulieren wollen!«
Der Sandner schaut ihn überrascht an. Nicht wegen des klugen Einwandes, sondern weil er diesen Geistesblitz dem Breznsalzer nicht zugetraut hätte.
»Sie haben recht – wenn er kein Stroh im Kopf hat«, knurrt der Hauptkommissar widerwillig, »aber das Risiko müsst man eingehen – wenn man es macht.«
Langsam zerbröselt der Konjunktiv.
»Also geht es nicht«, resümiert der Wenzel und klopft damit den guten Eindruck, den er vor einer Minute hinterlassen hatte, in die Tonne. »Ich
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