Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
von Baugerüsten, Projekten und aufhübschendem Firlefanz. Doch kaum den Flickenteppich angehoben findet man genügend der uralten, zweigeschossigen Arbeiterhäuser, in denen man haust wie aus der Zeit gefallen. Bunt zusammengewürfelt erscheint das Quartier. Als hätte ein Bub in seine Legokiste gegrapscht und wahllos Häuschen aufgebaut. In allen Größen und Formen. Noch schaut es lebendig und kräftig aus und nicht nach Wohnkäfigen vom Reißbrett. Architektonische Verbrechen findest du andernorts in der Stadt genug.
Der Sandner hat sich längst abgewöhnt, die Leute nach den Gassen zu beurteilen, in denen sie hausen. Gerade in München wäre das ein fataler Irrtum. Bei dem damischen Mietwucher kannst du dir dein Viertel nicht auswählen. Hauptsache vier Wände. Bald wirst du nur im Leichenschauhaus komfortabel wohnen – wenigstens kannst du dich ausstrecken.
Er ist nicht zum ersten Mal im Harthofviertel. Es wird sich hoffentlich niemand an ihn erinnern.
Letztes Jahr hatte er in einem Todesfall hier ermittelt. Keine spektakuläre Geschichte, höchstens ein Fünfzeiler für die Presse. Es sind oft kleine Begebenheiten, die sich einbrennen ins Hirn. Beziehungstat. Die kommt so häufig vor wie ein Heimsieg der Roten. Von daher keine Überraschung. Und doch ist es immer besonders. Besonders, weil der Sandner hinabtauchen muss in diesen blutigen Tümpel aus Leben und Verrecken, aus Entwürdigung, Schuld und abgrundtiefem Hass. Jeder ist einzigartig befüllt. Das Schicksal würfelt einen Pasch und raus bist du. Gleichalt wie der Ermittler ist das Opfer damals gewesen. Die Sicherheitsschlösser an ihrer Wohnungstür hatten der Frau nichts genützt. Eine scharfe Klinge, gekränkter Stolz und ein falsches Wort zur falschen Zeit. Ein tragisches Spiel beginnt, dessen Endergebnis die Mordkommission aufnotieren darf.
D en Miran von der Dringlichkeit zu überzeugen war ein hartes Stück Arbeit gewesen. Der Sandner hat auf ihn vertraut. Sein Spezl war für die unkonventionellen Lösungen zuständig. Ursprünglich Änderungsschneider am Kolumbusplatz ist er ein grandioses Organisationstalent mit dem Hang zu halblegalen Verrichtungen. Diesmal jedoch mit Einschränkungen und ungewohntem Zaudern.
»Nimm es mir nicht übel, Sandner, aber wenn sich rumspricht, dass ich einem den Bullen ins Nest gesetzt hab, quasi eine Bettwanze lanciert, dann nimmt keiner mehr a Stückerl Brot von mir. Dann kann ich zampacken.«
»Des muss niemand erfahren. Ich sperr bloß die Lauscher auf, kennst mich doch, und meine Kollegen packen zu. Zier dich ned, Zenzi.«
»Eben, weil ich dich kenn, Sandner – aber ich denk mal nach.«
»Aber hurtig, wenn’s geht!«
Er hat ihm schließlich, für genügend Bakschisch und das Versprechen auf drei gemeinsame Sparringskämpfe, einen Schlafplatz neben Fuhrers ominösen Häuserblock besorgen können. Nur über das Wochenende. Der Gastgeber wäre ein gemeinsamer Kumpel von ihm und Ömer, Sandners bevorzugtem Dönerbudenbesitzer. Die Verbindung zu Ömer wäre aber geschäftlich und daher kein Gesprächsthema. Der Sandner war mit allem einverstanden gewesen, selbst mit der Klausel, illegale Handlungen des Gastgebers kommentarlos zu akzeptieren.
»Wie heißt der?«
»Chingachgook.«
»Der letzte Mohikaner? Ja verreck. Kannst du mir das buchstabieren?«
W ie der Sandner aus dem U-Bahnhof Harthof herauskommt, fällt ihm als Erstes auf, wie grün es ist. Er steht inmitten eines Parkes. Die Natur hat mit beiden Händen zugepackt und verschenkt großzügig ihre Gaben. Es mochte sein, woanders in der Stadt hast du die angesagteren Läden vor der Tür, aber die würde der Sandner sofort eintauschen gegen einen Büschel Grashalme und eine alte Eiche. Eine schönere Möglichkeit, um aus der U-Bahn-Röhre zu krabbeln, musst du lange suchen in der Stadt. Er nimmt einen tiefen Atemzug, bevor er loshatscht. Der Aufzug zum U-Bahnsteig kommt dem Sandner wie ein Indianerzelt aus Stahl und Glas vor. Als wäre es das Wahrzeichen eines Reservats. Platz für die Aussortierten, die Wohnungsflüchter und Stammsteher.
Weit hat er nicht zu gehen. Worauf hat er sich da eingelassen? Alles mit heißer Nadel gestrickt. Seine Legende ist einfach. Das Ehegespinst hat ihn zu Hause rausgeschmissen und er kein Dach über dem Kopf. Männerwohnheim scheidet aus.
Vielleicht könnte er fremdgevögelt haben? Er verwirft die absurde Vorstellung. Natürlich gäbe er ihr die Schuld. Kommt immer realistischer, die einseitige Sichtweise,
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