Der Tod kommt in schwarz-lila
Widukindstraße, der Wohnadresse des Ermordeten.
*
Trevisan fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Er hatte das Bild schon viel zu oft gesehen. Doch er würde sich nie daran gewöhnen.
Frau Lüdke saß auf einer Couch und weinte hemmungslos. Der Pastor saß ihr gegenüber, doch auch er war hilflos.
Eine junge Frau saß neben Lüdkes Ehefrau und hielt sie eng umschlungen. Zweifellos Lüdkes Tochter.
Wortlos schaute sich Trevisan im Wohnzimmer um. Er prägte sich jede Einzelheit ein. Pokale standen im Vitrinenschrank. Bilder von Lüdke und seinem Hund befanden sich daneben. Auch an den Wänden hingen solche Bilder. Alle Pokale stammten von Hundeschauen und Wettbewerben des Teckel Vereins.
An der Wand gegenüber hing ein großes Bild. Es zeigte einen rotweiß lackierten Seenotrettungskreuzer. Trevisan trat näher heran. Knut Jansen hieß das Schiff. An der Reling standen zwei Männer und lachten in die Kamera. Lüdke und der Kapitän.
Trevisan wandte sich einem Regal zu. Eine goldene Medaille lag dort in einer geöffneten Schatulle. Trevisan griff danach. Es war eine Auszeichnung der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger. Eine Auszeichnung für gerettetes Leben. Lüdkes Leben hatte niemand mehr retten können. Trevisan betrachtete nachdenklich das glänzende Metall.
»Meine Mutter ist jetzt nicht in der Lage, Ihre Fragen zu beantworten. Es ist … Es ist schrecklich, wir können es alle noch gar nicht fassen«, stammelte die junge, blonde Frau.
Trevisan fühlte sich ertappt. Er stellte die Schatulle zurück.
»Können wir uns irgendwo …«
Die junge Frau erhob sich. Sie führte ihn in die Küche. Margot Martinson folgte.
»Haben Sie hier zusammen mit Ihrem Vater gelebt?«
Sie nickte. »Ich habe mein Zimmer oben.«
»Was für ein Mensch war Ihr Vater?«, schaltete sich Margot Martinson ein. Petra Lüdke blickte sie entgeistert an. Sie verstand den Sinn der Frage nicht.
»Was hat er gearbeitet, welchen Hobbys ging er nach?«, schob Trevisan zur Klarstellung nach. In solchen Situationen fühlte er sich wie ein Störenfried. Er brach in die Trauer wildfremder Menschen ein und füllte sich seine Taschen mit Anhaltspunkten, Ermittlungsansätzen und Widersprüchen im Leben des Opfers.
Petra Lüdke erzählte, dass ihr Vater über dreißig Jahre im Seenotrettungsdienst gearbeitet hatte. Vor drei Jahren war er pensioniert worden. Er hatte nur ein Hobby gehabt, und das war sein Dachshund, von dem noch immer jede Spur fehlte.
Es gab nichts Aufregendes zu berichten. Widersprüche suchte Trevisan vergebens. Eine Geschichte, so rund wie die von Grevenstedt und Hansen. Wieder stand er vor einem Rätsel. Warum hatte sich der Wangerland-Mörder ausgerechnet Lüdke ausgesucht? Unverblümt fragte Trevisan die junge Frau nach Grevenstedt und Hansen, doch sie hatte diese Namen noch nie gehört. Wo war das Bindeglied?
Eineinhalb Stunden später verließen Trevisan und Martinson die Wohnung. Doch Trevisan wusste genau, dass er noch einmal wiederkommen musste.
*
»Nach allem, was wir wissen, passt er genau in das Opferschema«, sagte Margot Martinson selbstsicher in das betretene Schweigen. Sie hatten sich im Besprechungszimmer versammelt. Monika Sander, Till Schreier, Alex Uhlenbruch, Tina Harloff und sogar die Polizeichefin waren anwesend. Trevisan stand an der Tafel und schaute auf die Landkarte. Ein weiteres Fähnlein war hinzugekommen. Diesmal ganz in ihrer Nähe. Der Wangerland-Mörder hatte vor ihrer Haustür zugeschlagen.
»Nein!« Trevisan widersprach Martinsons Theorie, dass der Täter seine Opfer nach Gemeinsamkeiten ihres Lebenswandels aussuchte. »Es muss etwas anderes sein. Es muss eine direkte Verbindung zwischen den Mordopfern geben.«
»Er sieht die heile Welt, die er nie gehabt hat, und beschließt die Männer zu töten«, fuhr Margot Martinson fort. »Es ist eine Form der Rache und eine Form seiner Perspektive zum Leben. Das könnte das Bindeglied sein, das wir suchen.«
Trevisan schüttelte den Kopf.
»Aber wie findet er seine Opfer?«, wandte Monika ein.
»Er beobachtet«, mutmaßte die Profilerin, »geht mit offenen Augen durch die Welt und sobald er die Witterung aufgenommen hat, lässt er nicht mehr locker.«
Als Kleinschmidt das Zimmer betrat, kehrte Ruhe ein. Er sah müde aus. Draußen war es bereits dunkel. Es hatte zu regnen begonnen.
»Hallo, Horst.« Trevisan schenkte dem Kollegen von der Spurensicherung einen heißen Kaffee ein. »Seid ihr fertig geworden?« Es war kurz
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