Der Tod kommt in schwarz-lila
schwankte bedrohlich auf dem Rad hin und her. Der Wind zerrte an ihm und er wünschte sich schon nach kurzer Zeit, die Fahrt wäre bald zu Ende. Herbst fuhr voraus. Auch Monika kam gut voran. Der Abstand zwischen Trevisan und seinen Begleitern vergrößerte sich zusehends. Trevisan blieb zurück. Er spürte den Schweiß auf seiner Stirn. Als Herbst und Monika Sander auf ihn warten wollten, gab er ihnen ein Zeichen, dass sie weiterfahren sollten. Einen Moment dachte Trevisan darüber nach, abzusteigen und den Rest des Weges zu laufen, doch er riss sich zusammen. Mehr als einmal verfluchte er den Sand, den Wind und das Wetter. Er traf eine halbe Stunde nach Sander und Herbst am östlichen Teil der Insel ein. Sie warteten am Wegesrand auf ihn.
Sie stellten die Räder ab und gingen den Rest des Weges zu Fuß. Das Kreuz lag versteckt hinter den Dünen, nur wenige Meter vom Wasser entfernt. Das Holz war grau und verwittert. Die breiten Risse der Maserung wirkten wie schmerzende Narben. Tief hatten sich der Wind und das Wetter in die weiche Oberschicht eingegraben. Trevisan blickte wie gebannt auf das tote Holz. Zwei Namen standen in der Mitte: Torben und Mareike. Die Zahlen dahinter verrieten wohl das Alter. Demnach musste Torben 14 und Mareike 11 Jahre alt gewesen sein. Im Holz darunter stand »unvergessen und beweint«. Diese wenigen Worte spiegelten all die Hilflosigkeit der Menschen gegen den Tod wider. Als Trevisan das Datum las, spürte er, wie die Hitze in ihm aufstieg. Seine Kopfhaut kribbelte. Es war der 18. Mai 1987.
Stumm starrte Trevisan auf das traurige Symbol des Leids. Nur kurz wandte er sich ab und schaute zum Himmel. Dann kniete er sich auf den Boden. Mit seinen Händen griff er in den feuchten Sand. Der Boden war locker. Er begann zu graben. Immer tiefer wurde das Loch, das er mit seinen Händen schaufelte. Dann stieß er auf einen harten Gegenstand. Herbst und Monika Sander schauten ihm fassungslos zu. Als er sich zu ihnen umwandte, lag ein bunter Geschenkkarton in seiner Hand. Der Karton war feucht. Er öffnete den Deckel. Ein Taschentuch lag darin. Es war voller Blut. Er spürte einen weichen Gegenstand in dem Stoff. Vorsichtig hob er das Taschentuch auf und rollte es auseinander. Ein blutiger Finger kam zum Vorschein. Monika erschauderte.
»Kleinschmidt muss sofort hier herauskommen«, sagte Trevisan, ehe er sich erhob.
*
Trevisan schwang sich auf das Fahrrad und radelte den langen Weg zurück. Monika war mit Herbst am Kreuz zurückgeblieben. Als Trevisan die Polizeistation erreichte, war er vollkommen außer Atem. Herbsts Kollege auf der Station blickte entgeistert auf, als Trevisan in die Wache stürzte. »Schnell! Ich muss sofort telefonieren«, rief er dem verdutzten Beamten zu.
»Was wollen Sie, wer sind Sie überhaupt?«, antwortete der Polizist.
»Trevisan, Mordkommission Wilhelmshaven«, erwiderte er, warf seinen Dienstausweis auf den Tisch und griff blitzschnell zum Telefon. Der Beamte nahm den Ausweis in die Hand. Schweigend verfolgte er das Telefonat. Seine Augen wurden immer größer.
Als Trevisan auflegte, wandte er sich dem Beamten zu.
»Können Sie Joost hierher holen?«
Wortlos nickte der Polizist. Dann griff er nach seinem Anorak und der Mütze und verließ die Polizeistation.
Trevisan ging zum Waschbecken. Sein Mund war ausgetrocknet.
31
Joost saß auf dem hölzernen Stuhl und blickte Trevisan aus wachen Augen an. »Sie sind viel zu wenig an der frischen Luft, junger Mann«, sagte der Alte nach einiger Zeit.
Trevisan lächelte und legte den Telefonhörer auf. »In zwanzig Minuten landet der Hubschrauber«, sagte er zu dem Polizeibeamten.
»Gut, dann werde ich die Herren in die Ostdünen führen«, erwiderte der Kollege und ging hinaus in den Sturm.
»Sie sind viel zu erregt und hektisch«, legte Joost nach. »Das schadet nur Ihrer Gesundheit. Schauen Sie mich an. Ich bin einundsiebzig Jahre alt und kerngesund. Ich schlafe regelmäßig, vermeide Aufregungen und achte auf meine Ernährung.«
»Eines kann ich Ihnen versprechen«, sagte Trevisan. »Wenn ich diesen Fall gelöst habe, dann werde ich mich erst mal richtig ausschlafen.«
»Also gut, dann will ich Ihnen helfen, sofern ich es überhaupt kann«, erwiderte Joost. »Was wollen Sie von mir wissen?«
»Es geht um das alte Holzkreuz draußen in den Ostdünen. Was wissen Sie davon?«
Joost überlegte. »Oh, das ist schon sehr alt. Es steht schon dreizehn Jahre da draußen. Es ist die klagende Erinnerung
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