Der Tod kommt in schwarz-lila
in ihrem zartrosa Kostüm einen krassen Gegensatz zu der Inneneinrichtung des Zimmers dar. Sie war Mitte Vierzig und blickte Trevisan mit neugierigen Augen an. Joost erzählte ihr in hastigen Worten den Grund ihres Erscheinens.
»Ah, das alte Holzkreuz«, sagte sie mit hoher Stimme. »Das wurde Ende der Achtziger aufgestellt. Es ist seltsam, ich bin erst vor ein paar Tagen über eine Chronik gestolpert. Moment, ich glaube, hier muss sie sein.« Sie ging zu einem der Regale, zog sich die kleine Leiter heran, stieg ein paar Tritte hinauf und ergriff ein großes Buch mit tiefblauem Einband. Sie legte es auf den Tisch und begann zu blättern.
»Der Unfall ereignete sich am 18. Mai 1987«, erwiderte Trevisan.
»Ja, ich habe es gleich. Hier ist es.«
Trevisan trat neben sie und schaute ihr über die Schulter. Sein Blick fiel auf einen handschriftlichen Eintrag in schöner, geschwungener Schrift. Die Verwalterin trat ein Stück zur Seite. Gespannt überflog Trevisan die Zeilen. Joost hatte recht. Doch der Bericht ging weiter. Die Namen der beiden ertrunkenen Kinder und auch der Name des geretteten Jungen waren registriert. Er hieß Sven Sörensen. Sven, schoss es Trevisan durch den Kopf – das musste der Namen des Mörders sein. Nach den Namen Hansen, Grevenstedt und Lüdke suchte er jedoch vergebens.
»Wissen Sie, woher die Sörensens stammten?«, fragte Trevisan. Die Verwalterin schüttelte den Kopf. Es war nirgends vermerkt. Trevisan überlegte. Wenn sich eine solche Tragödie ereignete, dann hatte das bestimmt eine Untersuchung nach sich gezogen. Er bat die Frau um eine Abschrift des Textes. Wenig später kehrte sie mit einer Kopie zurück. Trevisan bedankte sich bei ihr und auch bei Joost. Dann ging er zu Fuß zurück zur Polizeistation. Der Regen hatte aufgehört.
*
Trevisan wartete über eine Stunde, bis Monika mit Kleinschmidt und den anderen endlich zurückkehrte.
Neugierig lauschten sie Trevisans Worten, als er die Geschichte des Kreuzes erzählte. Dann wandte sich Trevisan an Herbst und fragte ihn, ob noch Akten aus dieser Zeit existieren würden.
Herbst schüttelte den Kopf und zeigte auf den kleinen Aktenschrank in der Ecke. »Das glaube ich kaum. Unsere Akten werden zentral in Wilhelmshaven verwaltet. So viel ich weiß, werden sie nach zehn Jahren vernichtet.«
»Würden Sie bitte nachfragen«, bat Trevisan. »Und wenn Sie schon dabei sind, fragen Sie auch, ob wir etwas über einen gewissen Sven Sörensen in unseren Datensätzen haben. Er müsste heute achtundzwanzig oder neunundzwanzig Jahre alt sein.«
Herbst nickte und setzte sich hinter seinen Schreibtisch.
»Wir haben seinen Namen und den Rest werden wir auch noch in Erfahrung bringen«, murmelte Trevisan.
»Wir sind einen großen Schritt weiter«, bestätigte Monika.
Kleinschmidt blickte auf die drei dunklen Plastiktüten in seiner Hand. »Das Untersuchungsergebnis wird bis nächsten Montag vorliegen. Aber es ist schon sicher. Es handelt sich ausnahmslos um Finger von Männerhänden. Mir ist kein weiterer Fall bekannt, bei dem den Opfern die Finger abgetrennt wurden, und das Wangerland ist nicht Chicago.«
»Wie kommt ihr zurück?«, fragte Trevisan.
»Der Hubschrauber wird in ein paar Minuten landen«, sagte Kleinschmidt. »Du fliegst doch mit uns zurück?«
Trevisan schaute aus dem Fenster. Die weiße Birke vor dem Fenster schüttelte sich im Wind. »Mir bleibt wohl nichts anderes übrig«, erwiderte er schließlich.
Herbst hatte inzwischen sein Gespräch beendet und den Hörer aufgelegt. »Es ist so, wie ich dachte, die Akten wurden bereits vernichtet.
Datenschutz. Aber Peters von der Aktenhaltung meinte, dass die Versicherungen solche Vorgänge dreißig Jahre aufbewahren. Wenn wir wüssten, welche Versicherung mit diesem Fall befasst war …«
»Erklären Sie mir das genauer?«
»Naja, jeder registrierte Kutter braucht eine Versicherung«, erklärte Herbst. »Das ist nicht viel anders als bei den Autos auf der Straße. Was, glauben Sie, passiert, wenn ein Tanker wegen eines Fischkutters auf Grund läuft? Wer sollte für den Schaden geradestehen?«
Trevisan verstand. »Das heißt also, wenn Hansen mit seinem Schiff an dem Unglück beteiligt war, dann weiß zumindest seine Versicherung Bescheid.«
»Richtig«, erwiderte Herbst. »Übrigens, in unseren Computern herrscht derzeit Chaos. Ein heftiges Gewitter tobt über dem Festland. Die Überprüfung von Sörensen ist zur Zeit nicht möglich.«
Das Brummen des Hubschraubers
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