Der Tod kommt nach Pemberley: Kriminalroman (German Edition)
da dort größere Vertraulichkeit möglich sei als in seinem Londoner Dienstzimmer. Er habe diese Verabredung deshalb nicht bereits früher offenbart, weil ihm wichtig gewesen sei, dass der Aufenthalt der betreffenden Dame in dem Gasthof erst nach ihrer Abreise aus Lambton bekannt würde, da sie sonst möglicherweise zum Gegenstand örtlicher Neugier geworden wäre. Mit der Angabe ihres Namens und ihrer Londoner Adresse könne er das alles nötigenfalls nachweisen; er sei aber sicher, dass die Aussagen des Wirts sowie der Gäste, die zum Zeitpunkt seines Kommens und Gehens im Schankraum gesessen hätten, sein Alibi bestätigen würden.
Hardcastle erwiderte nicht ohne Selbstzufriedenheit: »Das wird kaum nötig sein, Lord Hartlep. Da das King’s Arms auf der Strecke lag, habe ich heute Morgen auf dem Weg hierher nachgefragt, ob sich dort am Freitag irgendwelche Fremden aufhielten, und man erzählte mir von der Dame. Ihre Freundin hat ja gewaltigen Eindruck gemacht – mit einer überaus schönen Kutsche, wie mir gesagt wurde, einer eigenen Zofe und einem Diener. Ich kann mir vorstellen, dass sie dort viel Geld ausgegeben hat und der Wirt ihre Abreise sehr bedauerlich fand.«
Nun ging Hardcastle daran, das Personal zu befragen, das sich wieder im Dienstbotenzimmer versammelt hatte. Nur Mrs. Donovan war nicht erschienen, weil sie das Kinderzimmer nicht unbewacht lassen wollte. Da ein schlechtes Gewissen eher die Unschuldigen als die Schuldhaften plagt, lag weniger Aufregung als vielmehr Ängstlichkeit in der Luft. Hardcastle hatte beschlossen, seine Ansprache so aufmunternd und kurz wie möglich zu halten – ein Vorhaben, das er zum Teil mit seinen üblichen strengen Warnungen vor den schrecklichen Folgen zunichtemachte, die denjenigen drohten, die nicht mit der Polizei zusammenarbeiteten oder ihr Informationen vorenthielten. Schließlich fuhr er in etwas milderem Ton fort: »Ich bin überzeugt, dass Sie alle am Vorabend von Lady Annes Ball etwas Besseres zu tun hatten, als sich durch eine stürmische Nacht zu kämpfen, um im unwegsamen Wald einen wildfremden Menschen zu töten. Ich bitte nun jeden, der etwas zu berichten weiß oder sich zwischen sieben Uhr abends und sieben Uhr morgens aus Pemberley fortbegeben hat, die Hand zu heben.«
Nur eine Hand schnellte in die Höhe, und Mrs. Reynolds erklärte flüsternd: »Betsy Collard, Sir, eines der Hausmädchen.«
Hardcastle forderte Betsy auf, sich zu erheben, was sie sofort und ohne erkennbaren Widerwillen tat. Dann begann das kräftige, selbstbewusste Mädchen mit klarer Stimme zu sprechen. »Joan Miller und ich waren letzten Mittwoch im Wald, Sir, und wir haben den Geist der alten Mrs. Reilly so deutlich gesehen, wie ich Sie jetzt sehe. Sie hat einen schwarzen Umhang mit einer Kapuze getragen und sich zwischen den Bäumen versteckt, aber ihr Gesicht war im Mondlicht ganz deutlich zu erkennen. Joan und ich haben Angst bekommen und sind ganz schnell aus dem Wald gerannt, und sie hat uns auch nicht verfolgt. Aber gesehen haben wir sie, Sir, und das ist die reine Wahrheit!«
Joan Miller wurde angewiesen aufzustehen und bestätigte sichtlich verängstigt und mit leiser Stimme Betsys Bericht.
Hardcastle hatte das sichere Gefühl, auf weibliches und somit unsicheres Terrain zu geraten. Er warf Mrs. Reynolds einen Blick zu, woraufhin diese ihn ablöste. »Betsy und Joan, ihr wisst genau, dass ihr Pemberley nach Einbruch der Dunkelheit nicht ohne Begleitung verlassen dürft, und es ist unchristlich und dumm zu glauben, die Toten würden auf Erden wandeln. Ich schäme mich dafür, dass euch solche lächerlichen Hirngespinste überhaupt in den Sinn gekommen sind. Sobald Sir Selwyn Hardcastle mit der Befragung fertig ist, erwarte ich euch in meinem Zimmer!«
Sir Selwyn erkannte, dass diese Aussicht weit bedrohlicher war als alles, was er selbst hätte vorbringen können. Die beiden Mädchen murmelten »Sehr wohl, Mrs. Reynolds« und setzten sich wieder.
Die unmittelbare Wirkung von Mrs. Reynolds’ Worten hatte Hardcastle so beeindruckt, dass er es für angebracht hielt, seiner Person durch eine abschließende Belehrung Ansehen zu verschaffen. »Es erstaunt mich, dass ein Mädchen, dem das Privileg zuteil wurde, in Pemberley arbeiten zu dürfen, einem so törichten Aberglauben verfällt. Habt ihr denn euren Katechismus nicht gelernt?« Ein genuscheltes »Doch, Sir« war die einzige Antwort.
Hardcastle kehrte in das Hauptgebäude zurück und gesellte sich zu
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