Der Tod kommt nach Pemberley: Kriminalroman (German Edition)
Darcy und Elizabeth, die sehr erleichtert darüber waren, dass nunmehr nur noch die etwas weniger schwierige Aufgabe des Abstransports von Wickham anstand. Man ersparte es dem Gefangenen, der inzwischen Fußfesseln trug, vor einer ganzen Gruppe von Menschen abgeführt zu werden; nur Darcy empfand es als seine Pflicht, dazubleiben, um ihm alles Gute zu wünschen und mitanzusehen, wie er von Hauptwachtmeister Brownrigg und Wachtmeister Mason in den Gefängniswagen geschoben wurde. Gleich darauf wollte Hardcastle seine Kutsche besteigen, doch noch ehe der Kutscher die Zügelleinen hatte knallen lassen, steckte Sir Selwyn den Kopf zum Fenster hinaus und rief Darcy zu: »Es findet sich doch im Katechismus so einiges gegen den Götzen- und Aberglauben, nicht wahr?«
Darcy war von seiner Mutter im Katechismus unterrichtet worden, doch behalten hatte er nur, dass es nicht erlaubt war, fremdes Obst zu pflücken und zu stehlen. Dieses Verbot war ihm mit beschämender Regelmäßigkeit in Erinnerung gekommen, wenn er und George Wickham als kleine Jungen auf ihren Ponys nach Lambton ritten, wo die mit reifen Äpfeln bestückten Äste einladend über die Gartenmauer des damaligen Sir Selwyn hingen. »Sir Selwyn«, sagte er in ernstem Ton, »ich glaube, wir können darauf vertrauen, dass der Katechismus nichts enthält, was im Widerspruch zu den Ritualbüchern und Bräuchen der Kirche von England steht.«
»Ganz recht, ganz recht, dachte ich’s mir doch. Dumme Gören!«
Vollauf zufrieden mit dem gelungenen Besuch gab Sir Selwyn das Kommando, und die Kutsche fuhr, gefolgt vom Gefängniswagen, ratternd die breite Auffahrt hinunter. Darcy blickte ihr nach, bis sie verschwunden war. Das Begrüßen und Verabschieden von Besuchern wurde ihm allmählich zur Gewohnheit, doch die Abfahrt des Gefängniswagens mitsamt Wickham würde den Schatten des Grauens und der Verzweiflung von Pemberley nehmen, und desgleichen hoffte er, Sir Selwyn Hardcastle vor dem Beginn der gerichtlichen Untersuchung nicht mehr sehen zu müssen.
Viertes Buch
Die gerichtliche Untersuchung
1
F ür die Familie und die ganze Gemeinde war es selbstverständlich, dass Mr. und Mrs. Darcy und der gesamte Haushalt am Sonntag Vormittag um elf Uhr in die Dorfkirche St. Mary kommen würden. Die Nachricht von Captain Dennys Ermordung hatte sich rasend schnell herumgesprochen, und das Nichterscheinen der Familie wäre dem Eingeständnis gleichgekommen, entweder in das Verbrechen verwickelt oder aber von Mr. Wickhams Schuld überzeugt zu sein. Ein Gottesdienst stellt nach landläufiger Meinung eine legitime Gelegenheit für die Kirchenbesucher dar, nicht nur die äußere Erscheinung, die Haltung, die Eleganz und gegebenenfalls den Reichtum neu hinzugezogener Gemeindemitglieder zu beurteilen, sondern auch das Verhalten jedweder benachbarten Familie, die sich in einer interessanten Situation befindet, was von einer Schwangerschaft bis hin zum Bankrott reichen kann. Ein brutaler Mord, auf jemandes eigenem Besitz begangen von einem nachweislich verfeindeten Schwager, führt unweigerlich zu einem starken Anstieg der Besucherzahl, was auch stadtbekannte Invaliden einschließt, die von ihrer langwierigen Unpässlichkeit über Jahre hinweg daran gehindert waren, den regelmäßigen Kirchgang auf sich zu nehmen. Selbstverständlich war niemand so ungezogen, seine Neugier offen zur Schau zu stellen, doch schon am überlegten Spreizen von Fingern beim Erheben der betenden Hände oder an einem einzelnen Blick beim Absingen eines Chorals unter der schützenden Haube hervor lässt sich vieles erkennen. Reverend Percival Oliphant, der Pemberley vor dem Gottesdienst einen privaten Besuch abgestattet hatte, um seine Anteilnahme und sein Mitgefühl auszusprechen, erleichterte der Familie die Tortur nach Kräften, indem er zunächst eine ungewöhnlich lange, so gut wie unverständliche Predigt über die Bekehrung des heiligen Paulus hielt und Mr. und Mrs. Darcy dann, nachdem sie die Kirche verlassen hatten, in ein so ausführliches Gespräch verwickelte, dass die dahinter Wartenden, die es zum Mittagessen zog, sich schließlich mit einem Knicks oder einer Verbeugung begnügten, ehe sie zu Kutsche und Landauer eilten.
Lydia war nicht mitgekommen, und auch die Bingleys waren in Pemberley geblieben, einerseits um auf sie aufzupassen, andererseits um ihre für den Nachmittag geplante Abreise vorzubereiten. Wegen der Unordnung, die Lydia mit ihren Kleidern angerichtet hatte, dauerte es
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