Der Tod kommt nach Pemberley: Kriminalroman (German Edition)
gebieten.«
»Sie sollten sich eher beim Colonel als bei mir entschuldigen. Ihre Bemerkungen mögen unangebracht und anmaßend gewesen sein, entbehren deshalb aber nicht der Wahrheit. Elizabeth, meine Liebe«, sagte er zu seiner Frau, »wenn du die Sache mit den Briefen jetzt klären würdest, könnten wir gemeinsam vor die Dienerschaft treten – vor das Hauspersonal ebenso wie vor diejenigen, die heute von auswärts kommen. Mrs. Reynolds und Stoughton haben bisher nur mitgeteilt, dass sich ein Unfall ereignet hat und der Ball abgesagt ist – sie sind gewiss beunruhigt und verängstigt. Ich klingle jetzt nach Mrs. Reynolds und sage ihr, dass wir im Dienstbotenzimmer zu ihnen sprechen werden, sobald du den Text, den Georgiana schreiben soll, aufgesetzt hast.«
5
E ine halbe Stunde später betraten Darcy und Elizabeth das Dienstbotenzimmer. Sechzehn Stühle wurden nach hinten gerückt, und auf Darcys Begrüßung hin ertönte ein gemeinschaftlich gemurmeltes, kaum verständliches »Guten Morgen, Sir«. Elizabeth wunderte sich über die frisch gestärkten, blendend weißen Zierschürzen und Plisseehäubchen, doch dann fiel ihr ein, dass Mrs. Reynolds dem gesamten Personal Anweisung gegeben hatte, am Tag von Lady Annes Ball tadellos gekleidet zu erscheinen. Es roch durchdringend nach süßem und pikantem Backwerk; offenbar hatte man in Ermangelung eines gegenteiligen Befehls einiges bereits in die Öfen geschoben. Als Elizabeth an einer offen stehenden, in den Wintergarten führenden Tür vorbeigekommen war, hatte der süßliche Duft der Schnittblumen ihr fast Übelkeit erregt. Wie viele davon, dachte sie, würden jetzt, da sie niemand mehr brauchte, am Montag wohl noch blühen? Sie ertappte sich bei dem Gedanken, was man am besten mit der Unmenge an bratfertig gerupftem Geflügel machen sollte, mit den Rinderteilen, dem Obst aus den Treibhäusern, der weißen Suppe und der Weinschaumcreme. Das Meiste war zwar noch nicht zubereitet, doch wenn keine anderslautenden Anweisungen ergingen, würde es unweigerlich einen Überschuss geben, der nicht verderben durfte. Dass sie sich gerade jetzt damit beschäftigte, erschien ihr selbst unbillig, aber es war nur eine von vielen Sorgen. Warum sprach Colonel Fitzwilliam nicht von seinem nächtlichen Ritt, und warum erklärte er nicht, wo er gewesen war? Er hatte wohl kaum mitten im Sturm einfach nur einen Ausritt gemacht. Und falls man Wickham verhaften und abführen sollte – bisher hatte das noch niemand ausgesprochen, aber es war, wie alle wussten, fast sicher –, was sollte dann mit Lydia geschehen? In Pemberley würde sie nicht bleiben wollen, doch man musste ihr eine Bleibe in der Nähe ihres Mannes anbieten. Am besten und zweckmäßigsten wäre es, wenn Jane und Bingley sie nach Highmarten mitnähmen. Aber konnte man Jane das zumuten?
Mit diesen Überlegungen war sie so sehr beschäftigt, dass sie die Worte ihres Mannes, denen das Personal mit atemloser Stille lauschte, kaum wahrnahm und nur die letzten Sätze erfasste. Sir Selwyn Hardcastle sei in der Nacht herbeigerufen und Captain Dennys Leiche nach Lambton verbracht worden. Sir Selwyn werde um neun Uhr wiederkommen und müsse jeden, der sich vergangene Nacht in Pemberley aufgehalten habe, einer Vernehmung in seinem, Darcys, und Mrs. Darcys Beisein unterziehen. Keiner der Dienstboten stehe unter Verdacht, doch jeder müsse Sir Selwyns Fragen aufrichtig beantworten. In der Zwischenzeit sollten sie sich ihren Aufgaben widmen, ohne über die Tragödie zu sprechen oder untereinander zu tratschen. Den Wald dürfe außer Mr. und Mrs. Bidwell niemand betreten.
Darcys Rede stieß auf Schweigen, und Elizabeth meinte die Erwartung zu spüren, dass sie es brechen müsse. Sechzehn Augenpaare richteten sich auf sie, als sie sich erhob, sechzehn besorgte, verstörte Menschen sahen sie an und wollten hören, dass die Sache gut ausgehen und in Pemberley, ihrem sicheren Zuhause, alles beim Alten bleiben werde. »Der Ball«, sagte sie, »kann natürlich nicht stattfinden. Die geladenen Gäste erhalten einen Brief, in dem wir kurz erklären, was geschehen ist. Eine große Tragödie hat Pemberley getroffen, aber ich weiß, dass Sie weiterhin Ihre Pflicht erfüllen, ruhig bleiben und, wie wir alle, Sir Selwyn Hardcastle bei der Ermittlung unterstützen werden. Falls Sie etwas Bestimmtes beunruhigt oder Sie eine Mitteilung zu machen haben, wenden Sie sich zuerst an Stoughton oder an Mrs. Reynolds. Ich danke Ihnen allen für
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