Der Tod kommt nach Pemberley: Kriminalroman (German Edition)
Familie entstammte, war kaum gesellschaftliches Kapital zu schlagen. Da es selbst den dezentesten Menschen kaum je erspart bleibt, sich Anzüglichkeiten tratschender Nachbarn anhören zu müssen, sollte man das Unvermeidliche wenigstens genießen, und von Miss Bingley wusste man in London wie in Derbyshire, wie sehr sie in dieser Zeit darauf bedacht war, die Hauptstadt nicht zu verlassen. Sie hatte es auf einen schwerreichen verwitweten Adeligen abgesehen, und diese Unternehmung war gerade jetzt in eine zu großen Hoffnungen Anlass gebende Phase eingetreten. Titellos und unbemittelt hätte der Mann zwar als der langweiligste Mensch in London gegolten, aber man kann eben nicht mit »Euer Gnaden« angesprochen werden, ohne gewisse Unannehmlichkeiten auf sich zu nehmen, und um sein Geld, seinen Titel und alles andere, was er zu vergeben hatte, war verständlicherweise ein harter Wettkampf entbrannt. Da es eine ganze Reihe habgieriger Mütter mit langjähriger Erfahrung in Heiratsdingen gab, die sich allesamt verbissen für ihre Töchter ins Mittel legten, hatte Miss Bingley nicht die Absicht, in einem so heiklen Wettkampfstadium aus London abzureisen.
Elizabeth war gerade mit den Briefen an ihre Familie in Longbourn und an Tante Gardiner fertig geworden, als Darcy eintrat und ihr ein Schreiben überreichte, das ein Eilbote am Abend zuvor gebracht und das er eben erst geöffnet hatte.
»Lady Catherine hat die Nachricht erwartungsgemäß an Mr. Collins und Charlotte weitergeleitet und deren Briefe beigelegt. Sie werden dir weder ein Vergnügen noch eine Überraschung sein. Ich habe jetzt eine Unterredung mit John Wooller, aber wir sehen uns hoffentlich noch, bevor ich nach Lambton reite.«
Folgendes hatte Lady Catherine geschrieben:
Lieber Neffe,
Dein Eilbrief hat uns, wie Du Dir denken kannst, tief getroffen, aber ich kann Dir und Elizabeth zum Glück vermelden, dass ich dem Schreck standgehalten habe. Dennoch musste ich Dr. Everidge rufen, der mich zu meiner seelischen Stärke beglückwünschte. Sei versichert, dass ich mich den Umständen entsprechend wohl fühle. Der Tod dieses unglückseligen jungen Mannes – über den ich allerdings nicht das Geringste weiß – wird zwangsläufig im ganzen Land für Aufsehen sorgen, was sich in Anbetracht von Pemberleys Bedeutung nun einmal nicht vermeiden lässt. Mister Wickham, den die Polizei sehr zu Recht verhaftet hat, scheint außergewöhnlich begabt darin zu sein, ehrenwerten Menschen Verdruss und Beschämung zu bereiten, und ich kann nicht umhin, die Nachsicht, mit der ihn Deine Eltern als kleines Kind behandelt haben und über die ich mich Lady Anne gegenüber damals des Öfteren mit deutlichen Worten geäußert habe, als Ursache vieler seiner späteren Verfehlungen zu sehen. Ich neige jedoch dazu, ihn, zumindest was diese Ungeheuerlichkeit betrifft, für unschuldig zu halten, und da seine schändliche Heirat mit der Schwester Deiner Frau ihn zu Deinem Schwager gemacht hat, wird es Dir zweifellos ein Anliegen sein, für die Kosten seiner Verteidigung aufzukommen. Hoffen wir, dass diese Heirat nicht Deinen und den Ruin Deiner Söhne bedeutet! Du wirst einen guten Anwalt brauchen. Nimm auf keinen Fall einen aus der Gegend – er wäre nur ein Nichtskönner, in dem sich Unvermögen mit unverschämten Honoraransprüchen verbindet. Ich würde Dir gern meinen eigenen, Mr. Pegworthy, überlassen, aber ich benötige ihn hier. Der schon so lange währende Grenzstreit mit meinem Nachbarn, von dem ich Dir bereits erzählt habe, ist an einem entscheidenden Punkt angelangt, und das Wildern hat in den letzten Monaten ein beklagenswertes Ausmaß erreicht. Ich würde gern selbst kommen und Dich beraten – Mr. Pegworthy meinte einmal, wenn ich ein Mann wäre und mich mit der Juristerei beschäftigt hätte, wäre ich eine Zierde für die englische Anwaltschaft geworden –, bin hier aber unabkömmlich. Würde ich alle Menschen aufsuchen, denen mein Rat Nutzen brächte, wäre ich nie zu Hause. Ich schlage vor, dass Du Dir jemanden aus der Anwaltskammer Inner Temple nimmst. Die Herren dieser Kammer gelten allesamt als vornehm und gebildet. Nach Erwähnung meines Namens wird man Dir dort zuvorkommend weiterhelfen.
Ich werde Deine Nachricht an Mr. Collins weiterleiten, sie lässt sich ohnehin nicht lange verschweigen. Da er nun einmal Pfarrer ist, wird er Dir seine üblichen tristen Worte des Trosts zukommen lassen wollen. Ich lege seinen Brief dem meinen bei, werde jedoch dafür
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