Der Tod kommt nach Pemberley: Kriminalroman (German Edition)
äußerte, als er neben der Leiche kniete und wir auf ihn zukamen. Der genaue Wortlaut ist in diesem Fall ungemein wichtig. Wir werden selbstverständlich die Wahrheit sagen, aber es wäre doch interessant herauszufinden, ob unsere Erinnerungen an Wickhams Äußerungen übereinstimmen.«
Ohne abzuwarten, ob die beiden anderen etwas dazu bemerken wollten, sagte Colonel Fitzwilliam: »Seine Worte machten selbstverständlich einen tiefen Eindruck auf mich, und ich glaube sie exakt wiedergeben zu können. Wickham sagte: ›Er ist tot. O Gott, Denny ist tot. Er war mein Freund, mein einziger Freund, und ich habe ihn getötet. Es ist meine Schuld.‹ Was er mit dem Ausdruck ›Es ist meine Schuld‹ meinte, bleibt natürlich eine Ermessensfrage.«
»Ich erinnere mich an genau denselben Wortlaut wie der Colonel«, warf Alveston ein, »kann aber Wickhams Äußerungen ebenso wenig deuten wie er. Bis jetzt herrscht also Übereinstimmung.«
Nun war Darcy an der Reihe. »Ich kann zwar nicht den genauen Wortlaut wiedergeben, aber aus tiefster Überzeugung bekunden, dass Wickham sagte, er habe seinen Freund, seinen einzigen Freund, getötet, und es sei seine Schuld. Auch ich empfinde die letzte Äußerung als unklar und würde sie nur unter Zwang zu deuten versuchen – und wahrscheinlich nicht einmal dann.«
»Der Untersuchungsrichter wird uns kaum dazu zwingen«, meinte Alveston. »Wenn die Frage aufkommt, wird er wahrscheinlich darauf verweisen, dass keiner von uns wissen kann, was im Kopf eines anderen Menschen vorgeht. Meiner eigenen, rein spekulativen Meinung nach wollte Wickham sagen, dass Denny nicht in den Wald gegangen und seinem Mörder begegnet wäre, wenn sie nicht miteinander gestritten hätten, und dass er, Wickham, sich für das, was Dennys Empörung hervorgerufen hatte, verantwortlich fühlte. Zweifellos wird es in dem Fall darum gehen, was Wickham mit diesen wenigen Worten ausdrücken wollte.«
Damit war die Besprechung zu Ende; doch bevor sie sich von ihren Stühlen erhoben, sagte Darcy: »Wickhams Schicksal, sein Leben oder sein Tod, hängt nun also von zwölf Männern ab, die unweigerlich von ihren eigenen Vorurteilen beeinflusst sind, von der Eindrücklichkeit der Aussage des Beschuldigten und von der Redegabe des Anklagevertreters.«
»Wie könnte es anders sein?«, fragte der Colonel. »Er legt sein Los in die Hände seiner Landsleute, und nirgends findet sich mehr Gerechtigkeit als im Urteil von zwölf aufrechten Engländern!«
»Allerdings ohne die Möglichkeit der Berufung«, warf Darcy ein.
»Die kann es doch gar nicht geben! Die Entscheidung der Geschworenen war schon immer unantastbar. Was willst du, Darcy – eine zweite Jury, die darauf vereidigt wird, mit der ersten übereinzustimmen oder ihr zu widersprechen, und danach womöglich eine dritte? So ein Unfug würde, ad infinitum fortgesetzt, vermutlich damit enden, dass ein ausländisches Gericht über englische Fälle verhandelt. Das wäre der Ruin nicht nur unserer Rechtsordnung!«
»Könnte man nicht ein Berufungsgericht schaffen, das aus drei oder auch fünf Richtern besteht, die zusammenkommen, wann immer in einer schwierigen Rechtsfrage Uneinigkeit herrscht?«, gab Darcy zu bedenken.
Da schaltete sich Alveston ein. »Ich kann mir gut vorstellen, wie englische Geschworene auf das Vorhaben reagieren würden, ihre Entscheidung von drei Richtern anfechten zu lassen. In Rechtsfragen befindet der erkennende Richter, und wenn er dazu nicht in der Lage ist, soll er das Amt nicht bekleiden. Davon abgesehen gibt es durchaus so etwas wie ein Berufungsgericht. Wenn der erkennende Richter mit dem Ergebnis unzufrieden ist, kann er das Begnadigungsverfahren einleiten, und ein Urteil, das den Leuten ungerecht erscheint, führt stets zu einem öffentlichen Aufschrei, manchmal sogar zu gewalttätigem Protest. Ich kann Ihnen versichern, dass niemand seinem gerechten Zorn so laustark Luft macht wie die Engländer. Aber wie Sie vielleicht wissen, gehöre ich einer Gruppe von Anwälten an, die mit der Untersuchung der Effizienz unserer Strafrechtsordnung beauftragt ist, und es gibt eine Neuerung, die uns wirklich am Herzen liegt: das Recht des Anklagevertreters, ein Plädoyer zu halten, ehe der Verteidigung das Schlusswort erteilt wird. Ich wüsste nicht, was gegen eine solche Neuerung spräche, und wir sind voller Hoffnung, dass sie noch vor Ende des Jahrhunderts vorgenommen wird.«
»Welche Argumente werden dagegen angeführt?«, erkundigte sich
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