Der Tod kommt nach Pemberley: Kriminalroman (German Edition)
hochtrabend, immer als Bälle bezeichnet wurden. Die erste Begeisterung und der Lokalpatriotismus hatten dem Saal einen gewissen Anfangserfolg beschert, doch in den gerade herrschenden harten, von Mangel gezeichneten Kriegszeiten fehlte es sowohl an Geld als auch an Vergnügungslust, so dass der mittlerweile vorwiegend für offizielle Versammlungen genutzte Raum sich kaum jemals mehr füllte und die leicht bedrückende und verwahrloste Atmosphäre besaß, die jeder ursprünglich für gemeinschaftliche Unternehmungen gedachte Ort ausstrahlt. Thomas Simpkins, der Wirt, und seine Frau Mary hatten alle Vorbereitungen für eine Veranstaltung getroffen, die fraglos eine große Menschenmenge anziehen und einen entsprechenden Gewinn für den Gasthof abwerfen würde. Rechts von der Tür befand sich ein Podium, das Platz für ein kleines Tanzorchester bot und auf dem nun ein imposanter, aus dem Schankraum herbeigeschleppter Lehnstuhl stand. Rechts und links davon hatte man jeweils zwei kleinere Stühle postiert, auf denen die Friedensrichter und andere Honoratioren Platz nehmen sollten, die der Untersuchung beizuwohnen beabsichtigten. Auch alle anderen im Gasthof verfügbaren Stühle fanden Verwendung, und wie die kunterbunte Zusammenstellung zeigte, hatten auch die Nachbarn ihren Beitrag geleistet. Wer zu spät kam, musste stehen.
Darcy wusste, dass sein Stand und seine Befugnisse in den Augen des Untersuchungsrichters hohes Ansehen genossen und dieser es gern gesehen hätte, wenn der Besitzer von Pemberley feierlich in seiner Kutsche vorgefahren wäre. Darcy selbst wäre am liebsten geritten, was auch der Colonel und Alveston vorgeschlagen hatten, fand aber schließlich den Kompromiss, in der Halbkutsche zu kommen. Als er eintrat, war der Saal bereits gut besucht und von dem üblichen erwartungsvollen Gemurmel erfüllt, das in seinen Ohren jedoch eher gedämpft als vorfreudig klang. Bei seinem Erscheinen trat Stille ein. Dann wurde verlegen an vielen Stirnlocken gezupft, verhaltene Begrüßungen waren zu hören. Niemand, nicht einmal einer seiner Pächter, trat vor, um auf sich aufmerksam zu machen, wie es normalerweise geschehen wäre; er sah darin jedoch weniger einen Affront als den Ausdruck der allgemeinen Ansicht, es sei sein Vorrecht, auf sie zuzugehen.
Während er sich nach freien Stühlen weiter hinten umsah, die er für den Colonel und Alveston reservieren könnte, kam an der Tür Unruhe auf. Ein großer Rollstuhl aus Korbgeflecht mit einem kleinen Rad vorne und zwei wesentlich größeren hinten wurde mit einiger Mühe durch die Türöffnung bugsiert. Darin saß reichlich pompös Dr. Josiah Clitheroe, das rechte Bein von einem vorragenden Brett gestützt, den Fuß von einem kompliziert gewickelten Verband aus weißem Leinen umhüllt. Die vorne Sitzenden machten sich rasch aus dem Staub, damit man Dr. Clitheroe in den Saal schieben konnte, was nicht ohne Schwierigkeiten vonstatten ging, weil sich das heftig eiernde kleine Rad als widerspenstig erwies. Die Stühle je zu seiner Seite wurden sofort geräumt. Auf einen von ihnen legte er seinen hohen Hut und wies Darcy mit einer Geste an, den zweiten zu besetzen. Rings um die beiden Männer saß nun niemand mehr, was ihnen Gelegenheit zu einem vertraulichen Gespräch gab.
»Ich glaube nicht, dass die Sache den ganzen Tag dauern wird«, erklärte Dr. Clitheroe. »Jonah Makepeace hat die Zügel fest in der Hand. Die Angelegenheit ist schwierig für Sie, Darcy, und natürlich auch für Mrs. Darcy. Sie ist doch hoffentlich bei guter Gesundheit?«
»Ja, Sir, zum Glück.«
»An der Untersuchung dieses Verbrechens können Sie selbstverständlich nicht teilnehmen, aber Hardcastle hat Sie sicherlich über die Entwicklungen auf dem Laufenden gehalten.«
»Er hat so viel gesagt, wie er für klug hielt. Seine Lage ist ja ebenfalls nicht ganz einfach.«
»Nun, zu vorsichtig braucht er auch nicht zu sein«, entgegnete Dr. Clitheroe. »Er wird den Polizeidirektor pflichtgemäß in Kenntnis halten und auch mich, falls nötig, konsultieren – obgleich ich wohl kaum eine große Hilfe sein werde. Hardcastle, Oberwachtmeister Brownrigg und Wachtmeister Mason scheinen die Sache im Griff zu haben. Soweit ich weiß, haben sie mit allen Personen in Pemberley gesprochen und sich davon überzeugt, dass jeder ein Alibi vorweisen kann, was im Übrigen nicht verwunderlich ist – gibt es doch am Abend vor Lady Annes Ball anderes zu tun, als mordlüstern durch den Wald von Pemberley zu
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