Der Tod kommt nach Pemberley: Kriminalroman (German Edition)
eben, was sie selbst tun sollten, anstatt mit der Verfolgung eines Unschuldigen Zeit zu vergeuden.
Der Mann, den Darcy heute antraf, war ein völlig anderer. In frischen Kleidern, rasiert und gekämmt empfing Wickham ihn, als würde er einem nicht sonderlich willkommenen Besucher einen Gefallen erweisen. Darcy hatte ihn als einen sehr launenhaften Menschen in Erinnerung und erkannte jetzt den alten Wickham wieder, den ansehnlichen, selbstbewussten Mann, der seine traurige Berühmtheit eher genoss, denn sie als Schmach zu empfinden. Bingley hatte die erbetenen Dinge mitgebracht: Tabak, mehrere Hemden und Halstücher, Pantoffeln, pikantes Gebäck aus Highmarten, um die Auswahl an Speisen zu vergrößern, die Wickham sich von der Bäckerei in Lambton liefern ließ, sowie Papier und Tinte für die geplanten Aufzeichnungen sowohl über seine Rolle bei der Niederschlagung des irischen Aufstands als auch über die große Ungerechtigkeit seiner derzeitigen Inhaftierung. Ein solcher persönlicher Bericht, so seine Überzeugung, werde sich bestimmt gut verkaufen. Keiner der beiden Männer sprach die Vergangenheit an, die über Darcy noch immer eine gewisse Macht ausübte, während Wickham im Hier und Heute lebte, zuversichtlich in die Zukunft blickte und die Vergangenheit so abwandelte, dass sie seinen Zuhörern gefiel. Darcy gewann beinahe den Eindruck, dass Wickham die schlimmsten Ereignisse der vergangenen Zeiten erst einmal ganz aus seinen Gedanken verbannt hatte.
Wickham erzählte, die Bingleys hätten Lydia am Abend zuvor aus Highmarten zu Besuch gebracht, doch seine Frau habe so hemmungslos geklagt und geweint, dass ihm ihr bedrückender Anblick nicht länger erträglich gewesen sei und er angeordnet habe, sie künftig nur noch auf sein Verlangen hin und niemals länger als fünfzehn Minuten zu ihm vorzulassen. Er hoffe jedoch, dass ohnehin kein weiterer Besuch notwendig sei, denn nach der gerichtlichen Untersuchung am Mittwoch um elf Uhr werde man ihn gewiss freilassen. Er malte sich schon seine und Lydias triumphale Rückkehr nach Longbourn aus und sah bereits vor sich, wie ihn seine früheren Freunde in Meryton beglückwünschten. Pemberley wurde mit keinem Wort erwähnt, was wohl daran lag, dass sich Wickham dort nicht einmal in seiner augenblicklichen Hochstimmung willkommen glaubte und es vielleicht auch gar nicht sein wollte. Im glücklichen Fall seiner Freilassung würde er Darcys Überzeugung nach als Erstes zu Lydia nach Highmarten fahren und dann nach Hertfordshire weiterreisen. Jane und Bingley sollten Lydias Anwesenheit nicht einen einzigen weiteren Tag ertragen müssen. Doch all das ließe sich klären, wenn die Entlassung tatsächlich stattfand. Darcy wünschte, er könnte Wickhams Zuversicht teilen.
Er blieb nur eine halbe Stunde, erhielt eine Liste mit Gegenständen, die er am nächsten Tag mitbringen sollte, und ging, nachdem Wickham ihn gebeten hatte, Mrs. Darcy und Miss Darcy von ihm zu grüßen. Auf dem Weg aus dem Gefängnis empfand er zwar Erleichterung darüber, dass Wickham aufgehört hatte, sich in Pessimismus und Anschuldigungen hineinzusteigern; dennoch war der Besuch für ihn nicht nur unangenehm, sondern auch sehr bedrückend gewesen.
Sollte die Verhandlung ein gutes Ende finden, würde er Wickham und Lydia zumindest in absehbarer Zukunft unterstützen müssen. Sie hatten stets mehr ausgegeben als eingenommen und ihre unzureichenden Einkünfte seiner Vermutung nach mit privaten Zuwendungen von Jane und Elizabeth aufgestockt. Jane lud Lydia nach wie vor gelegentlich nach Highmarten ein; Wickham beklagte das zwar immer, vergnügte sich dann aber jedes Mal in diversen Gasthöfen am Ort, und alles, was Elizabeth über das Ehepaar erfuhr, kam von Jane. Mit keiner der zeitlich begrenzten Anstellungen, die er seit seinem Ausscheiden aus dem Dienst angenommen hatte, war Wickham erfolgreich gewesen. Zuletzt hatte er bei Sir Walter Elliot ein Auskommen zu finden versucht. Der Baronet hatte sich wegen seiner Verschwendungssucht gezwungen gesehen, sein Haus an Fremde zu vermieten und mit zweien seiner Töchter nach Bath zu übersiedeln. Anne, die jüngere, hatte sich dort sehr glücklich mit einem wohlhabenden Kapitän zur See verheiratet, der inzwischen zum Admiral aufgestiegen war, während die ältere, Elizabeth, noch einen Ehemann finden musste. Da der Baronet wenig Gefallen an Bath gefunden hatte, war er zu der Ansicht gelangt, nunmehr wieder reich genug für die Heimkehr zu sein, und hatte
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