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Der Tod macht den letzten Schnitt

Der Tod macht den letzten Schnitt

Titel: Der Tod macht den letzten Schnitt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Livingston
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nahm sie als Umhang — wie Torvill und Dean.»
Es entstand eine Pause, und Mr. Pringle fragte sich, leicht verunsichert, was
wohl folgen würde. «Glaubst du eigentlich, daß Ashley ein kleines bißchen... du
weißt schon... schwul ist?»
    Mr. Pringle sah Ashley vor sich: seine
tänzerischen Bewegungen, die eng geschneiderten Anzüge, den hübschen Lockenkopf
— aber zartfühlend gegenüber Mavis antwortete er: «Ein bißchen, vielleicht.
Aber darüber würde ich mir nicht den Kopf zerbrechen.»
    «Waren die Amerikaner nicht nett? Ich
dachte schon, die hören gar nicht mehr auf zu jubeln — und die Kellner!» Das
Taxi verlangsamte bereits das Tempo.
    «Wir sind gleich da, Mavis. Ist es
wirklich ratsam, daß du barfuß gehst? Das Pflaster heutzutage...»
    Aber sie rief schon dem Fahrer zu: «Hat
Ihre Frau kleine Füße, Schätzchen?»
    «Weiß ich nicht, Madame. Ich weiß nur,
daß sie immer kalt sind, wenn ich ins Bett komme.»
    «Hier», sie stellte ihm die Schuhe auf
den Schoß, «geben Sie sie ihr. Und gehen Sie mit ihr tanzen. Das wärmt!»
    Der Mann grinste noch fröhlich, als er
sechs Pfund fünfzig von Mr. Pringle kassierte.
     
    Mavis Bignell stelzte unversehrt über
Glasscherben und Schmutz. Sie stieg die brüchige Steintreppehoch und blieb erst
abrupt vor der Tafel mit den Nummernschildern stehen. «...dreiundzwanzig,
vierundzwanzig Klingelknöpfe!» Sie machte ein paar Schritte zurück und starrte
die trostlose, verkommene Fassade hoch.
    Mr. Pringle sprang herbei, um sie vor
einem Sturz ins Basement zu bewahren.
    «Wo sollen die denn alle wohnen? So
viele Zimmer kann es hier doch gar nicht geben!»
    «Ich schätze, die einzelnen Wohnungen
sind noch unterteilt... Bowman 18 F», las er und drückte gegen die Haustür. Sie
war offen. «Es gibt hier mit Sicherheit keinen Fahrstuhl.»
    Die Treppen waren verdreckt. Die
nackten, schwachen Glühbirnen im Treppenhaus schalteten sich schon nach
Sekunden wieder aus, aber angesichts dessen, was sie kurz beleuchteten,
rebellierte Mr. Pringles Magen. Mavis’ Empörung steigerte sich hörbar, und er
hatte das untrügliche Gefühl, daß es feindselige Lauscher gab — hinter einer
der Türen lauerte garantiert jemand, der größer war als er.»
    «Was für ein Saustall! Macht hier denn
niemand sauber?»
    «Ich glaube nicht, daß sie hier einen
Hausmeister haben.»
    «Dieser Dreck zieht doch Schädlinge an,
Ratten...»
    «Vielleicht ist das warme Wetter
schuld. Huch!» Mr. Pringle fuhr zurück, aber es war nur eine Katze gewesen, die
fauchend davonstob, weil er ihr auf den Schwanz getreten hatte.
    «Geh weiter», sagte Mavis ungerührt,
«er wohnt bestimmt im Dachgeschoß.»
    Und im Dachgeschoß fanden sie die
Wohnung, nur war hier die Glühbirne durchgebrannt. Mr. Pringle fand mühsam das
Schlüsselloch. Als sie das Zimmer betraten, war es so düster, daß Mr. Pringle
das Licht anknipsen mußte.
    «Pff!» machte Mrs. Bignell und fächelte
sich mit der Handtasche Luft zu. «An frische Luft glauben die wohl nicht.»
    Mr. Pringle ging gebückt weiter, um
sich nicht an der Dachschräge zu stoßen, und schob den Vorhang zur Sehe. Es gab
nur eine Fensterhälfte für das Zimmer, da es durch eine Trennwand zweigeteilt
worden war, und das einfallende Tageslicht war entsprechend kümmerlich.
    «Wie schrecklich, hier leben zu
müssen», sagte Mavis, betroffen von dem, was sie sah. «Der arme Kerl.»
    Das Zimmer war eine Station auf der
sich abwärts drehenden Spirale eines kaputten Lebens, armselig möbliert, mit
verfleckten, dreckigen Tapeten. Mr. Pringle riß das Halbfenster auf und holte
dankbar Luft. Unterdessen ging das Licht aus.
    «Alles läuft über Zähler», sagte Mavis
empört. «Wenn du hier angekommen bist, verbringst du dein Leben damit, Münzen
in einen Zähler zu werfen. Wenn du welche hast!»
    Platz war knapp bemessen. Mr. Pringle
wischte mit einem Taschentuch über einen Stuhl, und Mavis setzte sich. Die Flecken
im billigen Teppich begutachtend, meinte sie: «Ich hätte meine Schuhe doch
anbehalten sollen.»
    «Wir kaufen gleich neue.»
    «Aber bestimmt nicht hier, Liebchen.
Meine Sorte führen die hier nicht.» Sie betrachtete prüfend das Zimmer,
Gegenstand für Gegenstand. «Das war wohl alles, was er besaß. Kein Heim, kaum
was anzuziehen... aber ordentlich war er.»
    Mr. Pringle sah im halb geöffneten
Schrank tadellos gebügelte Garderobe auf Drahtbügeln, die mit Zellstoff
abgepolstert waren, wahrscheinlich weil Bowmans Engagement eine tadellose
äußere

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