Der Tod meiner Schwester
nirgendwohin gehen würde, legte ich mich ins Boot. Ich hätte gern ein Handtuch gehabt, um den harten, unnachgiebigen Boden abzupolstern. In dem Moment erinnerte ich mich daran, dass ich Isabels Handtuch auf der anderen Seite des Kanals gelassen hatte. Ich verfluchte mich selbst. An diesem Tag hatte ich einen Fehler nach dem anderen gemacht. Ich versuchte es mir so bequem zu machen, wie es mit den blutrünstigen Moskitos nur möglich war. Über mir funkelten einige wenige Sterne an dem dunklen Himmel, doch ich konnte mich nicht daran erfreuen. Allmählich fiel ich in einen unruhigen Schlaf, in dem mich der Schrei meiner Schwester als Echo verfolgte.
Ich erwachte unter einem sich rosa färbenden Himmel. Die aufgehende Sonne wärmte die Luft über der Bucht gerade erst auf. Ich fuhr hoch, als mir einfiel, wo ich war und warum, und jaulte auf, als mir ein Schmerz durch den Nacken schoss, der vom Liegen auf dem harten Untergrund ganz steif geworden war. Ich musste mich einmal um die eigene Achse drehen, um zu erkennen, dass ich tatsächlich auf einer der kleinen Inseln in der Bucht gelandet war. Der Strand lag so weit entfernt, dass ich nicht einmal die Plattform im Wasser erkennen konnte. Wer weiß, wo die Strömung mich hingetrieben hätte, wenn mein Boot nicht auf der Insel gestrandet wäre?
Es waren noch einige andere Boote auf dem Wasser. In der Ferne konnte ich ein paar Segelboote ausmachen und ein Boot wie meines, in dem zwei Männer anscheinend angelten. Ich erhob mich und winkte mit den Armen.
“Hilfe!”, schrie ich. “Bitte helft mir!”
Die Angler schienen mich nicht zu hören, und auch die Segelboote behielten ihren Kurs bei.
Ich hörte das Geräusch eines Motors und sah ein Schnellboot an meiner Insel vorbeifahren, als ich mich umdrehte. Ich winkte wie verrückt und schrie “Hey! Hierher!”, um die Aufmerksamkeit der vier Personen an Bord zu gewinnen. Ich hatte es schon fast aufgegeben, als das Boot wendete und auf mich zukam.
Der junge Mann am Steuer hielt das Boot etwa drei Meter vor der Insel an, da er offenbar befürchtete, sonst auf Grund zu laufen.
“Sitzt du fest?”, rief er. Neben ihm waren noch ein anderer Typ und zwei Mädchen im Boot. Ein Paar Wasserski ragten über den Bootsrand nach draußen.
“Ja”, rief ich zurück. “Ich konnte den Motor … Ich meine, ich habe ihn abgewürgt und kriege ihn nicht wieder an.” Ich sah keinen Grund, ihm zu sagen, wie lange ich schon hier war. Mein ganzer Körper juckte von den Moskitostichen. Herrje, ich wollte nach Hause! Ich würde mit Freude jede Strafe akzeptieren, die mir aufgebürdet wurde. Ich wollte nur weg von dem Schlamassel, in den ich mich – und meine Schwester – manövriert hatte. Ich fragte mich, ob man sie ins Krankenhaus gebracht hatte. Musste man ins Krankenhaus, wenn man vergewaltigt worden war?
Der Typ im Boot zog sein T-Shirt aus, sprang ins hüfthohe Wasser und watete zu mir herüber, wo er in mein Boot kletterte. Er war viel jünger, als ich gedacht hatte, vermutlich erst sechzehn oder siebzehn. Er fummelte an dem Motor herum und riss ein ums andere Mal an der Leine, doch er hatte noch weniger Glück als ich.
“Der gibt keinen Mucks von sich”, stellte er fest. Er erhob sich und starrte kopfschüttelnd auf den Motor. “Komm in unser Boot, und ich bringe dich … Wo willst du eigentlich hin?”
“Ich wohne am Kanal”, sagte ich. Ich sehnte mich nach Hause.
Er grunzte, als würde ihn meine Antwort nicht gerade begeistern. “Okay”, meinte er dann gnädig. “Mit deinem Boot kommst du nirgendwo hin. Also los.”
Gemeinsam wateten wir zu seinem Boot, wo sein Freund mir hineinhalf. Dann erblickte ich keine zweihundert Meter entfernt das Boot der Chapmans mit meinem Großvater und Ned darin. Aufgrund meiner Erschöpfung und Verwirrtheit kam es mir nicht einmal seltsam vor, dass die beiden zusammen waren.
“Hey!”
, kreischte ich, dass die Leute in meinem Boot zusammenschraken. “Das ist mein Großvater”, erklärte ich ihnen. “Hey!”, rief ich wieder, und der Junge, der mir hatte helfen wollen, betätigte das Horn.
Mein Großvater blickte in unsere Richtung, und wieder winkte ich mit den Armen. Neds Boot änderte sofort den Kurs und kam auf uns zu. Als die Boote Seite an Seite lagen, bedankte ich mich bei meinen Rettern und sprang auf das andere Boot hinüber, wo mein Großvater mir den Arm reichte und ich mich auf einen Sitz fallen ließ. Ich war unglaublich erleichtert, dass mein Martyrium vorüber
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