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Der Tod meiner Schwester

Der Tod meiner Schwester

Titel: Der Tod meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diane Chamberlain
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ein Licht brannte. Ich konnte es einfach nicht tun. Ich konnte nicht an die Tür klopfen, seine Eltern wecken und ihnen allen meinen dummen Plan erklären. Mit Sicherheit würden sie meine Eltern mit hineinziehen, und das wäre nur Zeitverschwendung. Ich machte wieder kehrt. Obwohl es sehr dunkel war, konnte ich die vier Deckchairs erkennen, als ich wieder in unseren Garten und zum Dock rannte.
    Die Strömung war schwach, doch sie zog noch immer in Richtung Bucht, und das Wasser glitzerte vor fluoreszierenden Quallen. Ich hatte diese glitzernde Lichtvorstellung schon einmal gesehen, doch noch nicht in diesem Sommer. Ich entschied mich, das als gutes Omen anzusehen, denn ich brauchte positive Impulse für den Weg, der vor mir lag. Ich machte das Boot los, kletterte die Leiter hinunter und ruderte lautlos aus dem Dock.
    Die Strömung ergriff das Boot und trug es gemächlich zu dem offenen Wasser der Bucht. Ich saß neben dem Motor, mit der Hand an der Pinne, damit das Boot nicht gegen die Spundwand gelenkt wurde. Wie viel Zeit war vergangen, seit ich auf die Uhr gesehen hatte? Fünf Minuten? Zehn? Sobald ich das Ende des Kanals erreicht hatte, würde ich den Motor starten und zur Plattform fahren. Wenn es noch vor Mitternacht war, würde Bruno vermutlich noch nicht da sein. Ich würde Isabel sagen, dass ich vergessen hätte, ihr Neds Botschaft auszurichten. Sie würde ins Boot steigen und ich sie nach Hause bringen. Und was, wenn Bruno bereits da war? Ich würde mir spontan etwas ausdenken. Irgendetwas. Aber ich würde sie nicht mit ihm allein lassen.
    “Komm schon. Komm schon”, feuerte ich das Boot an, als ich mich der Bucht näherte. Bestimmt war ich jetzt weit genug vom Haus entfernt, um den Motor zu starten. Ich zog an der Schnur, doch die Antwort bestand nur aus einem Stottern. Ich zog erneut. Und noch einmal. Der Motor reagierte genau so wie an dem Tag, als ich mit Wanda und George auf den Fluss hinausgefahren war. Nur hatte ich diesmal nicht George dabei, der ihn für mich startete. Ich trieb allmählich in die Bucht, während ich mit dem Motor kämpfte. Ein Anflug von Panik erfasste mich angesichts des dunklen Wassers um mich herum, und eine unerwartete Brise trieb mich fort vom Strand, der doch mein Ziel war. Ich
musste
das Boot in Gang bekommen. Ich zog noch mehrere Male an der Leine. Meine Arme schmerzten vor Anstrengung, und meine Finger, die vermutlich schon aufgerissen waren, brannten. Für einen kurzen Moment stellte ich meine Bemühungen ein. Ich blickte in Richtung Strand und versuchte, die Plattform zu erkennen. Ohne das Geräusch des stotternden Motors war es völlig still, nur eine leise Brise streichelte mein Gesicht. Und dann hörte ich ihn: einen Schrei.
    Ich sprang rasch auf, sodass ich fast über Bord gefallen wäre und mit den Armen rudernd um mein Gleichgewicht kämpfte. “Isabel!”, rief ich, doch ich spürte, wie die Brise meine Worte hinaus in die offene Bucht trug.
    Ein weiterer Schrei durchschnitt die Stille, der diesmal als ein deutliches “
Hilfe!”
zu verstehen war. Es war Isabels Stimme. Dessen war ich sicher.
    Ich legte die Hände um den Mund. “Izzy!”, rief ich. “Izzy!”
    Ich ging wieder auf die Knie und zog noch einmal mit aller Kraft an der Schnur des Motors. Während ich weiter mit dem Boot kämpfte und immer weiter in die Barnegat Bay abgetrieben wurde, bemerkte ich kaum, dass ich schluchzte – schluchzte, schrie und immer wieder nach meiner Schwester rief.

37. KAPITEL
    L ucy
    1962
    Kaum war ich auf dem Dachboden aufgewacht, wusste ich, dass ich allein war. Die Leselampe in Julies Nische brannte zwar, doch die Silhouette in ihrem Bett bildete einen knollenförmigen Hügel, der unmöglich sie selbst sein konnte, wenn sie nicht urplötzlich fünfzig Pfund zugenommen hatte. Die Fenster standen alle offen, und eine Brise trug das Zirpen der Grillen und das leise Klatschen des Wassers in den Raum. Die Vorhänge um Isabels Bett waren noch nicht zugezogen, und ich sah, dass die weiße Überdecke noch ordentlich eingesteckt war. Als mir klar wurde, dass ich mich allein auf dem Dachboden befand, wurde ich ganz steif vor Panik. Ich hielt den Atem an und lauschte. Lauerte jemand hinter dem Schornstein, der in der Mitte des Raumes aufragte? Oder vielleicht im Badezimmer, wo er hinter dem Vorhang stand?
    Ich bemühte mich, nicht an die Decke zu schauen, doch etwas schien mich zu zwingen. Und da war er: der Kopf des Mannes. Ich würde nicht losschreien, wie ich das in dieser

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