Der Tod meiner Schwester
den Zaun lehnten.
“Erzähl doch mal einfach von Anfang an, Julie”, forderte Officer Davis mich freundlich auf.
Ich berichtete ihm alles und versuchte dabei nicht zu weinen, damit ich eine gute Zeugin war. Ich erzählte ihm, wie ich das Treffen zwischen Bruno und meiner Schwester arrangiert hatte, als ich mit Wanda angelte.
“Ich habe dir doch gesagt, du sollst da nicht hinüberfahren”, schimpfte mein Vater, als ob das Angeln mit den Lewis der Grund für das Geschehene sei.
Ich gab zu, dass ich mich mit dem Boot hinausgeschlichen hatte, um Ned und Isabel auf der Plattform zu beobachten. “Das Ganze ist mein Fehler”, sagte ich. Meine Stimme war mittlerweile heiser, sodass es nur als Flüstern herauskam. “Ich war eifersüchtig auf sie. Ich wollte nicht, dass sie Ned hat. Aber ich wollte auch nicht, dass sie getötet wird.” Ich spürte die Hand meines Vaters auf meinem Rücken und war nicht sicher, ob die Berührung als Trost gemeint war oder ob ich aufhören sollte zu reden, weil ich schon zu viel gesagt hatte.
Ich fand es schade, als die Polizisten gingen, weil ich plötzlich wieder allein mit meiner Familie war und nicht wusste, wie ich dort länger hineinpasste. Im Bungalow herrschte eine Stimmung der Hilflosigkeit. Meine Mutter und meine Großmutter arbeiteten in der Küche, und das Schweigen wurde nur durch plötzliche Schluchzer unterbrochen. Mein Großvater und mein Vater saßen in ein Gespräch vertieft auf der Veranda. Lucy lag mit geschlossenen Augen und mit dem Daumen im Mund zusammengerollt auf der Couch im Wohnzimmer. Ihre Nase war ganz rot vom Weinen. Ich wusste nicht, wo ich hin sollte. Ich dachte daran, zu lesen, doch mir wurde wieder ganz übel, als ich an die kindischen Geschichten in meinen Nancy-Drew-Büchern dachte.
Ich setzte mich eine Zeit lang zu Lucy auf die Couch und starrte in die Luft. Ich wünschte mir, dass sie aufwachte und mit mir sprach, doch sie schlief wie betäubt. Vielleicht war sie es auch. Vielleicht hatten sie ihr etwas gegeben, damit sie ihren Kummer eine Weile vergaß.
Schließlich stand ich auf und ging in die Küche.
“Kann ich helfen?”, fragte ich mit dünner Stimme.
Meine Mutter sah mich überrascht an, als hätte sie meine Existenz völlig vergessen. Dann wandte sie sich wieder der Pfanne zu, in der sie ein Stück Fleisch anbriet.
“Es tut mir leid, dass ich dich geschlagen habe, Julie”, entschuldigte sie sich, wobei sie auf den Braten achtete und nicht auf mich.
“Das ist in Ordnung”, sagte ich.
“Hier.” Meine Großmutter gab mir den Kartoffelschäler und deutete auf ein Häufchen Kartoffeln auf dem Tisch. “Du kannst schälen.”
Wir arbeiteten in völligem Schweigen, was in unserer Familie nur selten vorkam. Doch es war mir nur recht, denn alles, was gesagt werden konnte, würde nur voller Schmerz und Zorn sein. Ich schälte jede einzelne Kartoffel perfekt, hinterließ nicht das winzigste Stückchen Schale und schnitt jedes Auge heraus. Ich wollte die Aufgabe möglichst lange ausdehnen, weil ich nicht wusste, was ich danach tun sollte.
Als das Telefon klingelte, zuckte meine Mutter zusammen, unternahm aber keine Anstalten, ins Wohnzimmer zu gehen und abzunehmen. Mit einem Pfannenwender in der Hand stand sie wie erstarrt an der Spüle, während wir den Schritten meines Vaters und dann seinem “Hallo?” lauschten, als er den Hörer abnahm. So sehr wir uns bemühten, verstanden wir doch kaum etwas von dem Gespräch. Schließlich kam mein Vater in die Küche.
Er stand im Türrahmen, das Gesicht so fahl, dass ich Angst um ihn hatte. Er könnte sterben, dachte ich. Das hier könnte ihn umbringen. Ich wäre verantwortlich nicht nur für Isabels, sondern auch für seinen Tod.
“Sie wurde nicht … Es gab keine Vergewaltigung”, sagte er. “Gott sei Dank das nicht.”
“Was glauben sie, was geschehen ist?” Niemals zuvor hatte die Stimme meiner Mutter so schwach und zögernd geklungen, als ob sie Angst vor der Antwort hätte.
“Sie sagen, sie sei ertrunken, doch sie wurde vorher … unsanft behandelt. Sie hatte Male auf ihrer Schulter und an ihren Armen und eine Beule am Kopf. Sie vermuten, dass sie den Walker-Jungen abgewehrt hat und dann ins Wasser fiel oder sprang, wobei sie sich den Kopf an der Plattform angeschlagen hat.”
Plötzlich warf meine Mutter den Pfannenheber an die Wand und schlug die Hände vors Gesicht. Mein Vater eilte rasch zu ihr und zog sie in seine Arme. Meine Großmutter stellte sich zu ihnen und
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