Der Tod meiner Schwester
neuen Informationen musste ich erst einmal durchdenken.
“Aber sie haben ihn ja”, fuhr Mitzi fort. “Ich nehme an, du weißt das.”
“Haben wen? George?”
“Den schwarzen Jungen, ja. Ich habe es im Radio gehört, bevor ich herauskam.”
“Was haben sie gesagt?”
“Nur dass sie ihn gefunden haben und er behauptet, er sei unschuldig.”
“Vielleicht ist er das”, entgegnete ich.
“Wer sonst könnte es getan haben?” Sie versuchte, ihre widerspenstigen dunklen Locken aus dem Gesicht zu streichen, doch sie fielen gleich wieder zurück. Sie tat mir leid, dass sie mit solchem Haar fertig werden musste. “Worüber ich nicht hinwegkomme, ist die Tatsache, dass ich die drittletzte Person war, die Izzy lebend gesehen hat.” Dabei klang sie, als ob sie diesen Satz eingeübt hätte.
“Was meinst du mit drittletzte?”, hakte ich nach.
“Die … du weißt schon. Die Person, die es getan hat, war die letzte”, versuchte sie mir die Logik nahezubringen. “Und Pam. Pam ging mit ihr zusammen hier weg, wie sie es immer taten, also war sie die zweitletzte.”
Pams Haus lag zwischen dem von Mitzi und dem Strand. Das ergab Sinn.
“Ned wird jetzt vermutlich mit Pam gehen”, spekulierte Mitzi.
Erst Jahre später wurde mir klar, wie taktlos diese Bemerkung von Mitzi Caruso war. Doch die Herzlosigkeit ihrer Worte ging in dem Augenblick damals an mir vorüber. Ich dachte nur an ihren Inhalt.
Ich verabschiedete mich von Mitzi und ging weiter Richtung Strand, wobei ich die Anhaltspunkte, die ich bislang hatte, in Gedanken ordnete. Erstens schien Neds Alibi eine Lüge zu sein, da ich ihn nicht mit seinem Vater im Garten gesehen hatte. Zweitens hatte Ned Isabel gesagt, dass er sie vielleicht doch treffen könne – etwas, das er der Polizei gegenüber nicht erwähnt hatte, soweit ich wusste. Drittens mochten seine Motive etwas mit seinem Interesse an Pam zu tun haben, doch dass er Izzy ermordete, um sie aus dem Weg zu räumen, schien mir etwas zu extrem.
Ich ging an Pam Durants Haus an der Lagune vorbei und nahm mir vor, mit ihr zu sprechen, nachdem ich den Strand untersucht hatte. Sie würde mir gegenüber weniger argwöhnisch sein als gegenüber der Polizei und sich deshalb vielleicht auch offener zeigen.
Der Strand war völlig verlassen. Ich hatte noch einige Polizisten in der Gegend erwartet, doch vielleicht hatten sie die Spurensuche bereits abgeschlossen. Höchstwahrscheinlich dachten sie, dass sie ihren Mörder jetzt hatten. Ich war mir mit jeder Minute sicherer, dass sie sich irrten.
Ich ging zu der Stelle an dem mit Seegras bewachsenen Ufer hinüber, wo man meine Schwester gefunden hatte. Ich suchte nach Dingen, die von den kleinen sanften Wellen ans Ufer gespült worden waren. Ich fand den Stiel eines Lutschers und einen Plastikbecher, doch das Interesse am Sammeln von altem Kram schien mir vergangen zu sein. Ich hob sie nicht einmal auf.
Tränen stiegen mir in die Augen, während ich durch die unheimlichen Büschel angeschwemmten Seetangs spazierte. Ich setzte mich dort hin, wo man Isabel gefunden hatte, und ließ das Wasser meine Beine umspülen. Ich fuhr mit den Händen durch die Halme des Seegrases. Hier war nichts. Was hatte ich erwartet?
Mit leeren Händen und schweren Herzens verließ ich den Strand und ging die Straße entlang zu Pams Haus. Ein Hund bellte, als ich an die Tür der Durants klopfte. So wie man durch unser Haus bis zum Kanal sehen konnte, konnte ich durch ihr Haus bis zur Lagune schauen.
Pam kam selbst an die Tür. Ihr Dobermannpinscher, der einzige Hund, vor dem ich je Angst hatte, war an ihrer Seite.
“Oh, Julie!”, sagte sie und zog die Tür weit auf. “Es tut mir so leid. Komm herein.” Sie umarmte mich, doch ich fühlte mich ganz steif und behielt außerdem ihren Hund im Auge.
“Ich wollte nur mit dir reden”, erklärte ich. Der Hund schnüffelte an der Rückseite meiner Hand.
Pam machte sich los, um mich zu mustern, doch auch ich fasste sie ins Auge. Das Weiße in ihren Augen hatte den bläulichen Schimmer von Magermilch. Keine Spur von Rot. Keine Spur von Tränen.
“Lass uns nach hinten in den Garten gehen”, schlug sie vor.
“Sind deine Eltern da?”, erkundigte ich mich, als wir durch das kleine Wohnzimmer gingen.
“Außer mir ist keiner da.” An der Tür zur Küche hielt sie inne. “Möchtest du etwas trinken?”
Ich schüttelte den Kopf.
“Ich wäre beinahe selbst gestorben, als ich es erfuhr”, sagte sie, als sie die Fliegengittertür
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