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Der Tod meiner Schwester

Der Tod meiner Schwester

Titel: Der Tod meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diane Chamberlain
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Grüßen Ned Chapman
    “Mein Gott.” Ich lehnte mich in dem Schaukelstuhl zurück und schloss die Augen. Ich dachte, mein Kopf würde explodieren, als mir die Bedeutung der Worte klar wurde. “Er hatte vor, ein Geständnis abzulegen”, sagte ich.
    “Das wissen wir nicht”, entgegnete Abby rasch. “Ich meine, Dad ist ganz sicher, dass Onkel Ned es nicht getan hat. Hundertprozentig sicher. Doch er hat mir vor langer Zeit von Ihnen erzählt. Meine Mom und ich haben all Ihre Bücher gelesen, und deswegen hat er mir alles von Ihnen erzählt. Er sagte, dass Sie damals Onkel Ned verdächtigten, obwohl niemand anderes das tat. Ich dachte, Sie hätten ein Recht darauf, von dem Brief zu erfahren. Ich sagte Dad, wir sollten ihn zur Polizei bringen. Schließlich klingt es danach, als ob der Typ, der ins Gefängnis musste, es vielleicht nicht getan hat.”
    “Auf jeden Fall!”, stimmte ich ihr zu und hielt den Brief hoch. “Die Polizei muss das hier sehen.”
    Abby biss sich auf die Lippe. “Das Problem besteht darin, dass Dad das nicht möchte. Er sagt, dass der Mann, der verurteilt wurde, im Gefängnis starb, sodass es jetzt keine Rolle mehr spielen würde.”
    Ich fühlte, wie mir die Tränen in die Augen schossen. Ich wusste, dass George Lewis fünf Jahre nach seiner Verurteilung zu lebenslanger Haft wegen Mordes an meiner Schwester an einer Lungenentzündung gestorben war. Ich hatte immer geglaubt, dass er zu Unrecht im Gefängnis saß. Wie grausam und ungerecht.
    “Zumindest sollte sein Name reingewaschen werden”, sagte ich.
    “Das denke ich ebenfalls”, stimmte Abby zu. “Doch Dad befürchtet, dass die Polizei Onkel Ned vorschnell zum Täter stempelt, ebenso wie Sie es tun. Mein Onkel war ziemlich verkorkst, doch er hätte niemals jemanden verletzen können.”
    Ich holte ein Taschentuch hervor und nahm die Brille ab, um mir die Tränen abzuwischen. “Vielleicht
hat
er jemanden verletzt”, entgegnete ich freundlich, während ich die Brille wieder aufsetzte. “Und vielleicht machte ihn
das
so unglücklich.”
    Abby schüttelte den Kopf. “Ich weiß, dass es so aussieht, doch laut Dad hatte Ned ein wasserdichtes Alibi. Er war zu Hause, als Ihre Schwes…, also als es geschah.”
    “Das klingt danach, als wolle Ihr Vater seinen Bruder um jeden Preis schützen”, bemerkte ich und versuchte dabei nicht die Bitterkeit durchklingen zu lassen, die ich empfand. “Wenn Ihr Vater dieses Schreiben nicht bei der Polizei abliefert, werde ich es tun.” Das sollte nicht nach einer Drohung klingen, doch vermutlich tat es das.
    “Ich verstehe”, sagte Abby. “Und ich bin ebenfalls der Meinung, dass die Polizei davon erfahren sollte. Doch Dad …” Sie schüttelte den Kopf. “Könnten Sie vielleicht mit ihm sprechen?”, bat sie.
    Ich dachte daran, wie wenig erfreut Ethan wohl über dieses Gespräch wäre. “Es klingt nicht so, als würde er darüber sprechen wollen”, entgegnete ich. “Und Sie sagten, dass er wahrscheinlich wütend wäre, dass Sie hier sind.”
    “Nicht wütend”, erwiderte Abby. “Er wird nie richtig wütend. Er würde sich nur … aufregen. Ich werde ihm sagen, dass ich hier war. Doch wenn Sie ihn anrufen, können Sie ihn vielleicht überzeugen. Sie haben das größte persönliche Interesse in dieser Angelegenheit.”
    Sie konnte nicht wissen, wie allein der Gedanke an jenen Sommer 1962 meine Handflächen feucht werden ließ und mir ein flaues Gefühl verursachte. Ich dachte an die Schwester von George Lewis, Wanda, und das persönliche Interesse, das
sie
in dieser Angelegenheit hatte. Und ich dachte an seine Cousine Salena, die Frau, die ihn aufgezogen hatte. Nichts konnte meine Schwester wieder ihrer Familie zurückbringen oder George Lewis der seinen, doch zumindest verdienten wir es alle, die Wahrheit zu erfahren. “Geben Sie mir seine Nummer”, sagte ich.
    Sie nahm die Kopie des Briefes, schrieb Ethans Nummer darauf und gab ihn mir zurück. Dann setzte sie ihre Sonnenbrille auf und erhob sich.
    “Vielen Dank”, verabschiedete sie sich, während sie den Stift wieder in ihre winzige Handtasche steckte. Sie sah mich an. “Ich hoffe … nun, um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, was ich hoffe. Vermutlich habe ich die Hoffnung, dass die Wahrheit schließlich ans Licht kommt.”
    “Das hoffe ich ebenfalls, Abby”, sagte ich.
    Ich beobachtete sie, als sie den Weg zur Straße entlangging und in das weiße Beetle-Cabrio stieg. Sie winkte, als sie losfuhr, und ich blickte ihr nach, bis

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