Der Tod meiner Schwester
Schwester zu und hatte die ganze Zeit ein schlechtes Gewissen, weil ich dieses Geheimnis mit mir herumtrug. Shannon musste es Julie bald sagen – wenn schon nicht ihretwegen, dann um meinetwillen.
10. KAPITEL
J ulie
Shannon zog am Dienstag zu Glen. Ich rief mir ins Gedächtnis, dass sie nur zwei Meilen entfernt war. Zwei Meilen. Ich konnte hinlaufen, auch wenn ich das nicht wollte. Sie zog aus, um ihre Freiheit auszuprobieren. Um meinem strengen Regiment zu entkommen. Und ich musste mich jetzt etwas zurückziehen. Manchmal hatte ich das Gefühl, als wäre sie nur sicher, wenn ich sie im Blick hatte. Ich wünschte, dass Kinder mit der Garantie zur Welt kämen, dass sie gesund blieben und ihre Eltern überlebten.
Als sie an jenem Morgen gepackt hatte, war ich in ihr Zimmer gegangen.
“Brauchst du Hilfe?”, fragte ich.
Sie lächelte, doch es war nicht echt. “Ich komme zurecht”, sagte sie. Sie hatte ihren Computer vom Netz genommen und die verschiedenen Teile auf dem Bett verteilt, wo sie sie nun in Handtücher wickelte.
Ich deutete auf die einzige freie Ecke auf dem großen Bett. “Darf ich mich setzen?”
Sie zuckte die Achseln. “Sicher.”
Ich sah zu, wie sie ihren Drucker vorsichtig in ein Handtuch wickelte. Ich sehnte mich nach etwas, von dem ich selbst nicht wusste, was es war. Ich fragte mich, ob alle Eltern sich so fühlten, wenn ihre Kinder aus dem Haus gingen. Es wirkte so gewaltig. Zeit für ein gutes Gespräch. Zeit, um all das zu sagen, woran wir dachten, aber einander nie gesagt hatten. Ich startete einen Versuch.
“Ich werde dich vermissen”, begann ich.
“Ich werde immer noch hier sein, Mom.” Sie war mit den Computerteilen fertig und nahm sich nun die mittlere Schublade ihrer Kommode vor. “Ich nehme nur meinen Koffer, meine CDs, den Computer und das Cello mit. Es ist nicht so, als ob ich schon aufs Konservatorium ginge.”
“Da gibt es etwas, das ich dich fragen muss”, tastete ich mich vor.
Sie reagierte nicht. Sie faltete eine Shorts, legte sie in den Koffer und fuhr mit der Hand darüber, als sei es lebenswichtig, jede unsichtbare Falte zu beseitigen. Ihr langes Haar fiel nach vorn und verdeckte ihr Gesicht.
“Wir haben nie darüber gesprochen”, fuhr ich fort und wappnete mich für ein Gespräch, das seit zwei Jahren überfällig war. “Aber ich muss es wissen. Gibst du mir die Schuld an der Scheidung?”
Erst jetzt blickte sie mich an. Sie trat einen Schritt zurück und holte einen Stapel T-Shirts aus der Kommode. “Natürlich nicht”, erwiderte sie, während sie die T-Shirts aufs Bett fallen ließ.
“Gibst du dann deinem Dad die Schuld?”
“Ich glaube, das war eine wechselseitige Sache.”
“Was ist deiner Meinung nach geschehen?” Ich fragte mich oft, was sie wusste, ob sie irgendwie zwei und zwei zusammengezählt und von Glens Affäre erfahren hatte.
Sie zuckte die Achseln. “Ich ging davon aus, dass es mich nichts angeht”, erklärte sie.
“Liebes, ich möchte nur sichergehen … du weißt schon, du sollst nicht glauben, dass es irgendwas mit dir zu tun hätte. Dass es irgendwie dein Fehler gewesen wäre.”
“Das weiß ich doch”, sagte sie, wobei ihre Stimme einen verärgerten Unterton annahm. “Ich glaube einfach, dass Dad mies zu dir war und du dann mies zu ihm warst, das ist alles.”
Das verblüffte mich, denn soweit ich mich erinnern konnte, hatte ich mich bei ihr nie über ihren Vater beschwert.
“Und was glaubst du, womit er meinen Zorn geweckt hat?”, hakte ich nach.
Sie stemmte die Hände in die Hüften und sah mich genervt an. “Mom, ich versuche zu packen”, wich sie aus. “Ich muss meine Sachen zu Dad hinüberbringen und um zwölf in der Kindertagesstätte arbeiten.”
“Ich möchte es nur verstehen”, drängte ich. Irgendwie schien ich nicht aufhören zu können. “Ich möchte sicher sein, dass –”
“Ich glaube, dass Dad ein Chaot war und dir das auf die Nerven ging”, sagte sie. “Und ich glaube, dass du Angst vor … vor der ganzen Welt hast, und das ging ihm auf die Nerven.”
“Ich habe keine Angst vor der ganzen Welt”, schnappte ich verletzt.
“Mutter, du bist eine Einsiedlerin.” Sie stopfte eines ihrer T-Shirts in den Koffer. “Mach dir nichts vor. Du sitzt den ganzen Tag in deinem kleinen Kabuff und verbringst die Zeit mit Menschen, die nicht existieren.”
“Das ist wirklich nicht fair.” Ich fühlte mich missverstanden und in die Ecke gedrängt. Das Einzige, wovor ich wirklich Angst
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