Der Tod meiner Schwester
hatte – abgesehen davon, dass einem geliebten Menschen etwas Schreckliches zustieß –, war Wasser. Nicht das Wasser in meiner Badewanne oder in einem Swimmingpool. Doch allein der Gedanke daran, im offenen Wasser des Meeres oder eines Sees schwimmen zu gehen, verursachte mir Herzklopfen. Und ich musste zugeben, dass ich seit der Nacht, in der Isabel starb, nie wieder ein Boot bestiegen hatte. Doch ich hatte
keine
Angst vor der ganzen Welt.
“Ich fliege regelmäßig”, rechtfertigte ich mich gegenüber Shannon. “Ich mache meine Lesereisen – die mehr als anstrengend sind – manchmal mehrere Wochen lang. Ich spreche vor Publikum. Ich probiere exotisches Essen.” Meine Stimme wurde schrill. “Ich gehe im Dunkeln durch Westfield. Ich unterrichte biografisches Schreiben im Altenheim. Ich arbeite ehrenamtlich im Krankenhaus. Also sag du mir bitte nicht, ich sei eine Einsiedlerin, die von ihren Ängsten in ihrem Büro festgehalten wird, oder was auch immer du zum Ausdruck bringen wolltest.”
“Du hast recht, es tut mir leid.” Ihr Tonfall ließ erkennen, dass sie das nur sagte, um das Gespräch zu beenden.
Ich fuhr mit der Hand über das oberste T-Shirt auf dem Stapel und erkannte es als eines wieder, das ich ihr von Seattle aus geschickt hatte, als ich dort auf Lesereise war. “Das Einzige, wovor ich wirklich Angst habe, ist, dich zu verlieren”, entschlüpfte es mir, bevor ich die Worte zurückhalten konnte.
Sie sah mich an, an ihren Fingern baumelten ein paar BHs. “Weißt du eigentlich, was für eine Last das ist? Bei allem, was ich tue, muss ich nicht nur mein Wohlergehen, sondern auch deines berücksichtigen.”
Ich starrte auf das T-Shirt und wusste, dass sie recht hatte. Vielleicht verstand ich hier zum ersten Mal, wie schwierig es war, meine Tochter zu sein. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
“Ich bin fertig mit Packen.” Sie schloss den Koffer und zog den Reißverschluss zu. “Ich werde das hier schon mal hinunter zum Wagen bringen.”
“Ich helfe dir”, bot ich an und erhob mich. “Aber ich möchte diese Unterhaltung irgendwann fortsetzen. Nicht jetzt. Wir sollten das jetzt erst einmal ruhen lassen. Ich möchte nicht, dass am Tag deines Auszugs einer von uns beiden sauer auf den anderen ist.”
“Ich wollte von vornherein nicht darüber reden”, erklärte sie und hob den Koffer vom Bett.
“Ich liebe dich”, sagte ich. “Ich hoffe, es tut dir gut, den Sommer bei Dad zu verbringen.”
Ich half ihr dabei, den Computer und den Koffer in ihrem kleinen Honda zu verstauen, und ging in mein Büro, nachdem sie fort war. Es stimmte, dass ich mich normalerweise sicher und geschützt fühlte in dem Raum mit meinen “Menschen, die nicht existieren”. Doch in den letzten Tagen hatte ich mich dort nicht wohlgefühlt. Unter den Worten
Kapitel vier
war die Seite noch immer gähnend leer, und ich hatte keine Idee, wie ich sie füllen sollte. Es gab Zeiten, in denen meine Figuren unwichtig und reine Zeitverschwendung zu sein schienen. So auch an diesem Morgen.
Ich hatte vier Absätze geschrieben und wieder gelöscht, als das Telefon klingelte. Es war Ethan.
“Ich habe den Brief gestern zur Polizei gebracht.”
“Oh, das ist gut, Ethan.” Ich erhob mich von dem Drehstuhl und ging mit dem Telefon hinüber zu meinem Lieblingssessel, wo ich es mir bequem machen konnte. Ich war überrascht und erfreut, dass er sich so rasch um die Angelegenheit gekümmert hatte. “Was haben sie gesagt?”
“Was wir erwartet hatten”, erwiderte er. “Sie rollen den Fall neu auf. Ich war danach im Supermarkt, und als ich zu Hause eintraf, hatte ich schon eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter, dass sie Neds Haus durchsuchen wollen.”
Ich verspürte einen Anflug von Schuldgefühl. Ich hatte Ethan überredet, den Brief zur Polizei zu bringen, und schon wurde die Privatsphäre der Chapmans verletzt, während ich in einem Haus saß, das niemals auch nur angetastet werden würde.
“Was könnten sie nach mehr als vierzig Jahren in Neds Haus überhaupt finden?”, fragte ich, obwohl ich die Antwort kannte: DNA.
“Wer weiß?”, meinte Ethan. “Ein Tagebuch vielleicht, auch wenn ich weiß – oder zumindest glaube –, dass er keines führte. Briefe. Andenken. Allerdings – und das habe ich ihnen gesagt – sind Abby und ich schon alles durchgegangen. Wir haben alles Mögliche weggeworfen, das unwichtig schien, und es ist definitiv zu spät, diese Dinge zu retten. Alles Wertige haben wir in Kisten
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