Der Tod traegt Turnschuhe
herumsitzen musste. Mein Körper steckte irgendwo zwischen dem, was war, und dem, was sein würde, fest, das hatte zumindest der Seraph gesagt, der dabei gewesen war, als ich mein Amt als schwarze Zeitwächterin angetreten hatte. Wenn ich ihn jemals wiederfand, könnte ich ganz normal weiterleben und den Job als Boss eines Systems, mit dem ich nicht einverstanden war, an den Nagel hängen. Dann könnte mir alles egal sein, was ich je über Zeitwächter, Amulette, Todesengel und Schwarzflügel gewusst hatte. Ich könnte wieder ich selbst sein. Auch wenn das bedeutete, dass ich all das hier vergessen müsste.
Ich sah zu Nakita hinüber und fragte mich, ob ich das noch immer wollte.
Natürlich will ich das, sagte ich zu mir selbst. Dann starrte ich wieder an die Decke und überlegte, wie man wohl an den Ort zwischen dem, was war, und dem, was sein würde, gelangte.
Stille erfüllte meine Seele und ich schloss die Augen. Ich wusste noch nicht einmal, wo ich suchen sollte. Aber wo immer dieser Ort auch war, wahrscheinlich würde ich bei der Suche danach meinen Kopf benutzen müssen, nicht meine Augen. Ich atmete dreimal tief ein und hielt dann die Luft an. Dann ließ ich sie langsam wieder raus, bis meine Lunge komplett leer war. Das war der erste Schritt von Barnabas' »Finde deine Mitte«- Lektion.
»Was machst du da?«, fragte Nakita und ich schreckte auf, obwohl sie leise gesprochen hatte.
Ich atmete ein. »Du meinst, außer warten, dass mein Dad ins Bett geht? Versuchen, den Ort zwischen dem, was ist, und dem, was sein wird, zu finden.« Ich hatte die Wahl: entweder das oder meine Mom anrufen. Ich hörte, wie sie sich anders hinsetzte und mit dem anderen Fuß anfing. »Na, dann viel Glück.«
Meine Augenbrauen rutschten hoch. Diese sarkastische Bemerkung hatte aus ihrem Mund ziemlich ungewohnt geklungen. Sie schien sauer zu sein. »Du passt dich super an, Nakita«, versicherte ich ihr und setzte mich in den Schneidersitz auf. »Das hat sich gerade total nach einem Teenager angehört.«
»Du willst doch gar keine Zeitwächterin sein«, warf sie mir vor und ihre blauen Augen blitzten. Dann korrigierte sie sich. »Du willst keine schwarze Zeitwächterin sein. Ich glaube, wenn du könntest, würdest du Shoe selbst einen Schutzengel verpassen.«
War das der Grund, warum sie so sauer war? »Ich habe nicht vor, Shoe einen Schutzengel zu verpassen«, verteidigte ich mich. »Mit einem Schutzengel wäre das Problem nicht gelöst.« Ich schnappte mir das Fläschchen mit dem roten Nagellack und rollte es zwischen meinen Handflächen hin und her, damit sich die Bestandteile vermischten, ohne dass Luft darankam.
Nakita beobachtete, wie ich den Nagellack mischte, und ich konnte beinahe sehen, wie sie die Information abspeicherte. Sie presste die Lippen aufeinander und starrte mich wütend an. »Du glaubst doch gar nicht ans Schicksal. Sobald du dein Amulett nicht mehr brauchst, um lebendig zu bleiben, gibst du es zurück. Und dann wirst du alles vergessen. Ich war dabei. Ich hab gehört, wie du das dem Seraph gesagt hast.«
»Nakita …«, beschwichtigte ich sie.
»Ist schon gut«, entgegnete sie knapp und tauchte den Pinsel in das Fläschchen, das sie riskant auf ihrem gebeugten Knie balancierte. »Ich bin ein schwarzer Todesengel. Mein Job ist es, Menschen zu töten. Ich erwarte ja gar nicht, dass du mich magst.«
Das wurde ja immer schlimmer. Seufzend stellte ich mein Nagellackfläschchen auf den Nachttisch und schraubte es vorsichtig auf. »Aber ich mag dich«, sagte ich, ohne sie anzusehen, und malte mir einen roten Streifen auf die schwarzen Nägel. »Ich finde dich unglaublich. Mann, Nakita, du kannst fliegen!« Ich sah auf. »Aber ich würde so gerne mal wieder schlafen. Ich fand es immer toll, Hunger zu haben und mich dann nach dem Essen einfach nur wohlzufühlen. Ich fühle mich schrecklich, weil ich meinen Dad anlüge und sein Gedächtnis verändere. Und ich kann einfach nicht der Boss in einem System sein, an das ich nicht glaube.
Wenn ich nichts daran verändern kann, werf ich das Ganze hin, sobald ich meinen Körper wiederhabe.«
Sie holte Luft, um etwas zu sagen. Ihre Augen lagen auf mir und ich konnte nicht wegsehen. »Aber du bist so gut darin«, widersprach sie leise.
Ich? Gut darin? Erschrocken starrte ich sie an und ein roter Tropfen landete auf meiner Tagesdecke. »Wie kommst du denn darauf?« Ich steckte den Pinsel hastig zurück in das Fläschchen und kramte nach einem Taschentuch. »Du hast
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