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Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Titel: Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Niedlich
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Blut ließ mich nicht mehr los, obwohl die Kontrollen im Umgang mit den Waffen rigoros waren. Üblicherweise wurden sie nach jeder Schießübung in der Waffenkammer von einem frustrierten Ex-NVA-Soldaten eingeschlossen, der die Westberliner unter uns so ansah, als wären wir immer noch der Klassenfeind. Zuvor reinigten wir die Gewehre auf dem Flur vor unseren Zimmern, nachdem unsere Gruppenführer kontrolliert hatten, ob auch wirklich alle Munition abgegeben worden war und keine mehr im Lauf steckte. Ich beobachtete Damm, ständig auf dem Sprung, falls es Anzeichen gäbe, dass er sich etwas antun würde. Er saß aber nur auf seinem Stuhl, zerlegte das Gewehr und schnitt hinter Kruppas Rücken Grimassen. Ich beruhigte mich ein wenig.
    In der Nacht von Freitag zu Samstag war ich Gefreiter vom Dienst, was bedeutete, dass ich allein in der kleinen Bude am Eingang unseres Batteriegebäudes saß und mich langweilte, während fast alle anderen Soldaten der Kaserne daheim bei ihrer Familie waren. Ein Schwarzweißfernseher leistete mir Gesellschaft, aber auf dem uralten Gerät konnte ich nicht einmal die Lippenbewegungen des Nachrichtensprechers erkennen. Also machte das auch nicht wirklich Spaß.
    Plötzlich landete Tod auf dem durchgelegenen Bett in der Wachstube und lehnte seinen Kescher an die Wand.
    „Na, Junge, wie geht es dir so?“
    „Dass du dich auch mal wieder blicken lässt …“
    „Du weißt ja, dringende Geschäfte. Also, wie geht’s dir?“
    „Abgesehen davon, dass ich hier alleine sitze, der Fernseher zu klein ist und ich vergessen habe, mir was zu lesen einzustecken, eigentlich ganz gut. Und dir?“
    „Abgesehen davon, dass ich durch die Weltgeschichte reise, irgendwelche Seelen einsammle und das alles ganz allein machen muss, eigentlich ganz gut.“
    Wir schauten uns an.
    „Ich wollte mich entschuldigen, dass ich dich beim letzten Besuch so bedrängt habe“, sagte Tod.
    „Hast ja ’ne Weile gebraucht, bis dir das klar wurde.“
    „Weißt du, wenn man diesen Job jahrhundertelang macht, dann vergisst man schon mal die Zeit. Und meine Fähigkeiten in zwischenmenschlichen Beziehungen sind auch nicht mehr das, was sie mal waren.“
    „Schon okay. Also bist du vorbeigekommen, um uns wieder irgendwohin zu katapultieren?“, fragte ich.
    Tod zog eine Bowlingkugel unter seiner Kutte hervor.
    „Ich frage lieber nicht, aus welcher Körperöffnung du die gezogen hast“, wunderte ich mich.
    „In dem Umhang ist wirklich viel Raum“, erwiderte Tod.
    „Irgendwas anderes als Bowling wäre nicht schlecht.“
    Tod zeigte mit seinen knochigen Fingern in die Ecke. Hinter dem Schrank lugte ein Schachbrett hervor.
    „Weißt du, wo die Figuren sind?“
    ***
    Nachdem wir die Figuren nicht gefunden hatten, behalfen wir uns mit Kronkorken, Knöpfen und allerlei anderem Kram, um sie zu ersetzen. Wir spielten die halbe Nacht und redeten über dies und das. Irgendwann fiel mir ein, was mir unterbewusst schon die ganze Zeit auf der Zunge lag.
    „Mir ist neulich etwas Sonderbares passiert“, sagte ich, während ich mit meinem ersten Bauern ein neues Spiel eröffnete. „Zugegeben, ich war vielleicht etwas von Drogen benebelt, aber als ich einen von meinen Zimmerkameraden angesehen habe, da hatte ich so etwas wie eine Vision. Das Bild war total klar, dauerte aber auch nur einen Moment. Es sah so aus, als hätte er sich das Hirn mit einem Gewehr rausgepustet.“
    Tod schaute vom Schachbrett hoch und sah mich durchdringend an. Seine Gesichtszüge waren ernst, wirkten aber interessiert.
    „Ich hätte das Ganze eigentlich als Quatsch abgetan und gedacht, dass mein Gehirn mir einen Streich spielt, aber so etwas Ähnliches hatte ich schon einmal“, erklärte ich. „Ich weiß nur nicht mehr so genau, was es war.“
    „Das wäre dann schon die zweite Eigenschaft“, sagte Tod.
    „Zweite Eigenschaft? Wovon sprichst du?“
    „Das wäre die zweite Eigenschaft, die du von mir übernimmst.“
    „Übernehmen? Was zum Teufel meinst du?“
    Tod räusperte sich. „Es sieht so aus, als würdest du langsam spezielle Eigenschaften von mir … na ja, übernehmen. Sie färben quasi ab.“
    „Sie färben ab?“
    „Du erinnerst dich, wie ich dir gesagt habe, dass du meinen Job übernehmen wirst?“
    „Fang nicht schon wieder damit an.“
    „Ich werte das als ‚Ja‘. Jedenfalls sind das die ersten Anzeichen dafür“, erwiderte Tod unbeirrt.
    „Wie können das die ersten Anzeichen sein? Ich übernehme deinen Job doch gar

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