Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Titel: Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Niedlich
Vom Netzwerk:
davon, die von Horowitz eingespielt war, und an die erinnerte ich mich. Die Ärzte und Krankenschwestern kümmerten sich gar nicht um sie, fast so, als würde sie das dort jeden Tag machen. Unwillkürlich musste ich lächeln, während ich sie beobachtete. Nachdem sie gerade wieder eine Umdrehung hingelegt hatte, bemerkte sie, dass ich ihr zuschaute. Zuerst wirkte sie überrascht. Dann lächelte sie mich an und machte einen kleinen Knicks. Ich erhob meine Hände und deutete ein Klatschen an. Sie strahlte förmlich, drehte sich dann aber abrupt um und rannte den Gang hinunter. Ich schaute ihr, so gut es ging, hinterher, aber sie war bald aus meinem Blickwinkel verschwunden. Als ich mich wieder zurücklehnte, musterte mich die Halbglatze prüfend, starrte aber wie gehabt schnell wieder auf ihre Hände, sobald ich zu ihm hinsah. Ich lehnte mich abermals zurück und wartete.
    Einige Minuten vergingen. Plötzlich patschte eine Hand an die Scheibe neben mir und ließ mich aufschrecken. Das Mädchen war wieder zurück und lächelte mich freundlich an. Fröhlich sprang sie die paar Meter zum Eingang des Warteraums, hüpfte hindurch und kam schließlich in einer eleganten Drehung vor mir zum Stehen.
    „Das kannst du wirklich gut“, sagte ich.
    „Vielen Dank!“, zwitscherte das kleine Mädchen aufgeregt. „Wer bist du denn?“
    „Ich bin Martin. Und du?“
    „Vivien. Aber du kannst mich Bibi nennen.“
    „Hallo, Bibi. Freut mich, dich kennenzulernen.“
    Sie kletterte auf den Sitz neben mir, kniete sich hin und schaute mir breit grinsend ins Gesicht. Irgendwie war sie seltsam, genauso wie ihr Kleid. Ganze Schichten von Mustern schienen darauf übereinanderzuliegen. Ich wollte gerade etwas sagen, als sie mir unvermittelt mit dem Zeigefinger auf die Nase drückte.
    „Mööp“, sagte sie und kicherte. Seltsam, wie gesagt, aber sie war auch unheimlich süß.
    „Mööp?“, fragte ich und machte Anstalten, sie ebenfalls auf die Nase zu drücken, aber sie zuckte zurück.
    „Das darfst du nicht.“ Für einen Moment schaute sie ernst.
    „Oh, entschuldige.“ Ich hatte keine Ahnung, was ich falsch gemacht hatte. Dann stupste sie meine Nase erneut.
    „Möööööp!“ Sie ließ sich schwer auf den Sitz plumpsen und kicherte wie wild. Ich lächelte, wurde aber trotzdem nicht schlau aus dem Kind. Halb zur Bestätigung, dass da nicht viel zu verstehen wäre, schaute ich rüber zur Halbglatze, deren Gesicht eher Abscheu und aufkeimende Panik verriet. Vermutlich kein Freund von Kindern, dachte ich.
    „Was machst du denn hier?“, fragte mich das Mädchen, während es sich umständlich die Arme über dem Kopf verbog.
    „Ich glaube, ich habe mir irgendwas am Bein getan. Tut ganz schön weh, wenn ich mich hinstelle“, sagte ich.
    „Das ist ja doof.“
    „Ja, in der Tat. Das ist doof.“
    „Wie ist denn das passiert?“
    „Ich hab einem kleinen Jungen geholfen. Der wäre fast ertrunken, weißt du.“
    „Oh!“, sagte das Mädchen. „Tod ist auch doof.“
    Ich schmunzelte. „Ja, das finde ich auch. Und was machst du hier? Ist deine Mutter oder dein Vater hier irgendwo?“
    „So’n Quatsch!“, sagte die Kleine. „Aber ich komme ganz oft hierher. Auch in andere Krankenhäuser.“
    „Bist du denn so krank, dass du so oft herkommen musst?“
    „Du bist lustig“, erwiderte sie und stellte sich auf den Sitz neben mir. Sie fasste mir erneut an die Nase, sprang vom Sitz, rannte um die mittlere Sitzreihe herum und draußen fast die Krankenschwester um, die mich abholen kam. Das Mädchen drehte weiter ihre Pirouetten auf dem Gang, als ich versuchte aufzustehen, ohne vor Schmerzen an die Decke zu springen.
    „Ist der Herr nicht vor mir dran?“, fragte ich und deutete auf die Halbglatze, aber der schaute mich nur mit weit aufgerissenen Augen an und meinte, ich solle ruhig vorgehen, schließlich ginge es mir ganz offenbar schlechter als ihm.
    Die Schwester half mir beim Gehen und nahm meine Tasche. Bibi tanzte den Gang hinunter, wo uns der Mann, der seine schwangere Frau begleitet hatte, aufgeregt entgegenkam.
    „Wo ist denn das nächste Telefon?“, fragte er, und die Schwester zeigte ihm die Richtung. „Es ist ein Junge!“, rief er mir zu und taumelte freudetrunken weiter.
    Bevor ich in der Notaufnahme verschwand, sah ich noch, wie Bibi mir zuwinkte, und ich tat dasselbe.

Kapitel 26
    Es war töricht von mir anzunehmen, dass die Warterei ein Ende haben würde. Nun hockte ich lediglich in einem kleinen Separée und hoffte

Weitere Kostenlose Bücher