Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens
ja schon im Lebensretter-Business, und Bio hattest du auch als Leistungskurs“, ergänzte sie.
Mir schossen die Ereignisse des Tages erneut durch den Kopf. Die Visionen über den Tod der Leute. Die Tatsache, dass ich es geschafft hatte, den Jungen zu retten.
„Hm“, machte ich.
„Dein Enthusiasmus ist praktisch spürbar.“
„Entschuldigung, aber ich habe gerade darüber nachgedacht und halte die Idee gar nicht mal für schlecht.“
Simone lächelte. Sie nahm ihren Stift, kritzelte etwas auf ein Stück Papier von ihrem Notizblock, riss die Seite ab und gab sie mir.
„Das hier ist meine Telefonnummer. Melde dich in nächster Zeit mal bei mir, eventuell kann ich dir helfen.“
„D-Danke“, stotterte ich.
„Ich mag dich, Lebensretter. Ich hab ein gutes Gefühl bei dir. Aber glaub ja nicht, dass das einfach wird.“
Ich schüttelte den Kopf. Sie gab mir die Hand.
„Ich muss noch ein paar Kunden abfertigen. Den Rest macht eine Schwester. Und du, mach’s gut.“
Die Schwester kam mit dem Zeug für meinen Gips, und Simone ging davon. Plötzlich ging der Vorhang des Separées noch einmal zurück. Simone lugte herein.
„Und nur dass eins klar ist: Ich finde dich zwar ganz schnuckelig, aber du bist zu jung für mich. Außerdem habe ich einen Freund. Glaube ich. Jedenfalls hatte ich noch einen, als ich meine letzte Schicht angefangen habe. Das war letzten Monat oder so. Was ich eigentlich sagen wollte … die Telefonnummer ist für den Fall, dass du ernsthaft daran interessiert bist, Medizin zu studieren. Sollte sie irgendwo an einer Toilettenwand landen und ich obszöne Anrufe bekomme, dann suche ich deine Adresse aus den Akten raus und überlege mir, wo ich an dir meine chirurgischen Kenntnisse verbessern kann.“
Sie winkte und grinste, bevor sie ging. Die Schwester starrte mich entgeistert an, und ich lächelte nervös zurück.
Kapitel 27
Nach dem ganzen Prozedere überließ man mir ein paar Krücken, mit denen ich aus der Notaufnahme humpelte. Einen Moment lang überlegte ich, wie ich so lädiert nach Hause kommen sollte, aber dann fiel mir ein, dass ich einfach springen könnte. Ich suchte mir eine Ecke, wo mich niemand beobachten konnte, schließlich wollte ich nicht dafür verantwortlich sein, dass plötzlich jemandem das Herz stehenbliebe, weil ich vor seinen Augen plötzlich spurlos verschwand. Allerdings war ich fast einem Herzinfarkt nahe, als mich hinter genau dieser Ecke ein ziemlich grimmig schauender Thanatos erwartete.
„Was hast du dir dabei nur gedacht?“, fuhr er mich an.
„Ich? Mir? Ich habe einen kleinen Jungen gerettet und damit etwas getan, von dem du behauptet hast, es wäre nicht möglich.“
„Ja, und aus gutem Grund.“
„Hätte ich deiner Meinung nach etwa das Kind sterben lassen sollen? Willst du das damit sagen?“
„Selbstverständlich“, sagte er kühl. „Früher oder später wird er ohnehin sterben. Du bringst nur alles durcheinander.“
„Früher oder später? Was soll das heißen? Nächste Woche? Nächsten Monat? In 50 Jahren?“
„In diesem Fall sind es vermutlich 60 Jahre.“
Am liebsten hätte ich triumphierend meine Arme in die Luft geworfen, aber mir fiel rechtzeitig genug ein, dass ich ohne Krücken wohl einen unsanften Bauchklatscher auf dem Kies gemacht hätte.
„Fakt ist doch“, fasste ich zusammen, „dass du mir mitten ins Gesicht gelogen hast. Du hast mir immer erzählt, dass man Todgeweihte nicht retten könnte.“
„Stimmt, aber es war lediglich eine Notlüge, um dich zu schützen. Es lag mir fern, dich damit zu ärgern.“
„Um mich zu schützen? Wovor?“
„Vor der Gefahr, in die du dich durch dein unüberlegtes Handeln stürzt, ohne deine Aufgabe überhaupt verstanden zu haben.“
„Meine Aufgabe? Redest du schon wieder davon, dass ich deinen Job übernehmen soll?“
„Nicht sollst, musst“, sagte er.
„Jetzt muss ich es?“
„Ja, es ist dir angeboren. Du bist mein Nachfolger, ob es dir gefällt oder nicht.“
Langsam wurde ich sauer. „Du sprichst schon wieder so, als wäre es mein Schicksal. Und ich habe dir schon einmal erklärt, dass ich an diesen Quatsch nicht glaube. Das Schicksal dieses Jungen war es, dort an der Badestelle zu sterben, ja? Falsch, ich habe es verhindert. Er lebt, und das offenbar noch eine ganze Weile, sofern es stimmt, was du sagst, und du darüber nicht auch gelogen hast.“
„Martin, ich …“
Ich ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Also war es vielleicht gar nicht sein Schicksal,
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