Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens
besonders schön gewesen wären. Meine sozialen Kontakte, ohnehin kaum der Rede wert, beschränkten sich darauf zu erfahren, welche Studentenpartys ich verpasst hatte. Es gelang mir immerhin, die Verbindung mit Simone aus dem Krankenhaus aufrechtzuerhalten, die sich gefreut hatte, als ich ihr erzählte, dass ich in Berlin bleiben würde.
Tod hatte ich seit dem Vorfall bei der Klinik nicht mehr gesehen und war auch sehr froh darüber. Trotzdem war er wie ein Dorn in meiner Medulla oblongata. Oder etwas weniger fachchinesisch gesprochen: meinem Hirnstamm. Denn auch ohne physisch anwesend zu sein, war er doch in meinen Gedanken immer präsent. Natürlich könnte man darüber argumentieren, ob er überhaupt jemals physisch vorhanden gewesen ist. Auch an meinen Fähigkeiten änderte sich trotz Tods Abwesenheit nichts. Ich konnte noch immer spontan von einem Ort zum anderen springen, zumindest testete ich von Zeit zu Zeit, ob es noch funktionierte. In Momenten, in denen ich mich nicht vollständig auf das Geschehen um mich herum konzentrierte, konnte oder musste ich noch immer die tödliche Zukunft von Menschen sehen. Auch über das Wasser zu laufen gelang mir, wann immer ich es wollte.
Nach zwei Jahren kam nun endlich die Zeit: Ich durfte tatsächlich praktisch tätig werden, und auch hier half mir der Kontakt zu Simone. Sie arrangierte für mich diesmal einen Praktikumsplatz im Waldkrankenhaus.
„Dann hast du es nach einer langen Schicht wenigstens nicht weit nach Hause“, meinte Simone, und ich nickte nur. Mir war der Weg eigentlich egal, denn theoretisch konnte ich einfach springen, wohin ich wollte. Mir gefiel es aber, dass ich dort schon jemanden kannte – ich hoffte, ich würde mich dann nicht ganz so fehl am Platz fühlen.
***
Ironischerweise hatte mich mein Entschluss, den Tod zu bekämpfen, indem ich möglichst vielen Menschen das Leben rette, gerade an den Ort geführt, wo er sich vorwiegend aufhielt. Während der ganzen Vorbereitungszeit, so würde ich mein Studium bis dahin bezeichnen, war es mir einfach nie in den Sinn gekommen, dass ich dann wieder öfter mit ihm zusammentreffen würde. Wenn es einen Ort gibt, an dem der Tod und das Leben ganz besonders oft anzutreffen sind, dann ist es wohl ein Krankenhaus. Die meisten Menschen werden hier geboren, die meisten Menschen verlassen die Welt hier auch wieder.
An meinem ersten Tag der Famulatur war ich hauptsächlich damit beschäftigt, meinem zugeteilten Arzt zuzuhören und mitzubekommen, wie der Hase läuft. Während ich den verschiedenen Assistenzärzten hinterhereilte, war ich zudem noch damit beschäftigt, all die Visionen zu unterdrücken, die bei der Begegnung mit den Patienten förmlich auf mich einstürmten. Ich wollte mich nicht gleich am ersten Tag unbeliebt machen. Das war insofern schwierig, weil ich mehrmals an diesem Tag jemanden „Ob-La-Di, Ob-La-Da“ pfeifen oder summen hörte.
Gegen Ende meiner ersten Schicht ließ sich Simone blicken, deren Schicht kurz zuvor begonnen hatte, und fragte mich, wie mein erster Tag war.
„Ich glaube, ich kriege jetzt schon ein Magengeschwür“, sagte ich und ließ mich auf einen Stuhl fallen.
„Ach, dit wird schon.“ Simone schien nie wirklich schlechter Laune zu sein. „Das ist wie Sex. Am Anfang ist man noch schüchtern, weiß nicht recht, was man tun soll und ob es so richtig ist, wie man’s macht. Dann wird man selbstsicherer, hat richtig Spaß an der Sache, bevor sich die Routine einschleicht, bei der man blind die korrekten Handgriffe machen kann.“
Sonderbarerweise lächelte sie dabei und schaute gedankenverloren an die Decke. Die Frau ergab für mich keinen Sinn.
„Ich hoffe meine Arztkarriere läuft besser ab als dein Liebesleben“, sagte ich.
„Ach, na ja, mein Liebesleben ist recht übersichtlich, wenn man bedenkt, dass ich auf die 40 zugehe und mein mittlerweile Ex sich lieber mit 20-Jährigen vergnügt. Verdammte Midlife-Crisis.“
„Tut mir leid, ich wusste nicht, dass ihr euch getrennt habt.“
„Ja, ist schon ein paar Wochen her. War eh nicht mehr so dolle in letzter Zeit.“
„Und jetzt bist du wieder auf der Suche?“
Sie musterte mich von oben bis unten.
„Irgendwann muss ja mal der Richtige dabei sein. Ich will nur nicht wie die Rettich von der Gyn enden, die dem Chef von der Radiologie auf der Weihnachtsfeier einen geblasen hat und nun glaubt, dass er sie heiraten wird.“
Ich lächelte gezwungen. Mir war nicht ganz wohl dabei, Tratsch über Leute zu
Weitere Kostenlose Bücher