Der Tod und die Diebin (Bündnis der Sieben) (German Edition)
sein Mund, wäre es zu ertragen.
Die Wohnung roch nach Einsamkeit. Das änderte sich auch nicht, als sie Nachtluft hineinströmen ließ. Lucy streifte die Schuhe ab und tauschte das Samtkleid gegen Jeans und Pulli. Als sie sich ihre Lieblingswollsocken anzog, streifte der Ring über ihre Wade. Aus einem haarfeinen Schnitt sickerte Blut. Sie hielt den Smaragd ins Licht. Wie konnte ein Schmuckstück derart scharfkantig geschliffen sein? Wie er schimmerte. Fantastisch. Wie ein Zauberring aus einem Märchen. Ob er Wünsche erfüllte? Lucy trat ans Fenster. Wünsche mussten fliegen können. Sie drehte ihn dreimal um ihren Daumen.
„Bring mir Daniel.“
Im Ofen knackte es.
Eine Gänsehaut kam und ging. Lucy zog den Ring ab und legte ihn unter das Sofakissen. Wenn Daniel recht hatte? Albern. Es gab keine magischen Ringe.
Warum tauchte Daniel ständig in ihrem Leben auf? Er verfolgte sie. Der Schreck nistete sich in ihrem Magen ein. Er hatte gesagt, sie gehöre ihm. Niemand hatte einen Anspruch auf Lucy Sorokin. Daniel war ein Mann. Männer unterhielten, befriedigten, ließen sich bestehlen und waren nützlich, so wie Igor und Peter.
Ob Igor endlich geschrieben hatte? Nein. Lucy sendete ihm eine knappe E- Mail, das s alles in Ordnung wäre und sie auf sein Päckchen warte te . Wehe, der Kerl h ä tte es sich selbst unter den Nagel gerissen. Lucy rief die Prawda auf und überflog die Schlagzeilen. Es war nur eine Randnotiz. Ohne Foto. Ohne Zeugenberichte.
Der Kleinkriminelle Igor Wolkow war tot in der Moskwa aufgefunden worden. Die Moskauer Polizei vermutet hinter der Gräueltat Revierstreitigkeiten rivalisierender Syndikate. Der Leichnam wiese Foltermale auf und es fehlten Gliedmaße n .
Lucy starrte auf den Bildschirm, bis ihre Sicht verschwamm. Igor war tot. Er war gequält worden. Hatte furchtbar gelitten. Lucy wurde es schlecht. Wie war Ethans Nummer? Sie hatte sie tausendmal gewählt. Jetzt konnte sie sich nicht erinnern. Sie hatte sie gespeichert. Wie die ellenlange Nummer von Igor. Warum brannten ihre Augen?
Zwei gemeinsame Heime. Zwei gemeinsame Ausbrüche. Ein gemeinsames Jahr auf der Straße. Zahllose gemeinsame Diebstähle.
Ethans Nummer. Wie lange wollte er es klingeln lassen?
„Lucy! Deine schräge Freundin war eben hier. Die, die nur bei Vollmond Grünzeug isst, oder waren es Kohlenhydrate? Ich soll dir ausrichten, sie hätte die Karten für dich gelegt und du solltest dich vor finsteren Mächten in A cht nehmen, die in deine Schicksalsfäden eingreifen woll t en . Wenn dieses Weib noch einmal mitten in der Nacht klingelt, bringe ich es um.“
„Igor ist tot.“
Ethan schwieg.
„Geh ins Internet. Ließ die Kurznachrichten der Prawda.“
„Ich kann kein Kyrillisch.“
„ Lies die englische Ausgabe.“ Lucy drückte ihn weg, verkroch sich auf den Sessel, schlang zwei Decken um sich und fror immer noch.
Tränen halfen weder ihr noch Igor. Sie zwinkerte sie weg. Sollte Igors Tod etwas mit ihrem Diebstahl zu tun haben? Nein. Sie hatte Kolja gegenüber Igor mit keinem Wort erwähnt. Woher sollte Kolja von ihrer Freundschaft wissen? Und wenn doch? Wenn an dem Ring Igors Blut klebte, klebte es auch an ihr.
Sie brachte Unglück. Die Erkenntnis traf sie wie ein Blitzschlag. Ihre Eltern waren tot. Igor war tot. Ethan hatte sich mit seiner Familie ihretwegen überworfen und Peter sah in ihr eine ehrenhafte , wenn auch arme Exilrussin. Sie nutzte alle Menschen aus, die es gut mit ihr meinten. Sie würde Peter verlassen und in eine andere Stadt ziehen. Dann hätte auch Ethan seine Ruhe vor ihr. Alles andere wäre unfair.
Lucy raufte sich die Haare. Was war mit ihr los? Seit wann dachte sie solchen Mist? Das Leben war nicht fair. Warum sollte sie es sein? Sie war eine Diebin.
Dinge waren da, Menschen waren da. Wer sie sich nahm, hatte sie. Punkt. Igor hatte sie sich genommen. Igor wurde ermordet. Bedwyr hatte sie genommen. Auf einem Sperrmüllhaufen hatte er gethront. Einarmig, pelzig, mit runden Knopfaugen. Der Bär flog in die Zimmerecke.
Peter hatte sie sich genommen. Peter war praktisch. Peter hasste Kerzenlicht beim Sex. Sie riss die Stummel aus den Halterungen und warf sie von sich. Wozu steckten sie da? Sie kamen nicht zum Einsatz. Das war unfair. Wenn etwas da war und seinen Zweck nicht erfüllen durfte. So wie ihr Herz. Es schlug. Mehr nicht. Es hätte lieben sollen. Lieben ging nicht. Lieben machte schwach, abhängig und tat weh. Zu lieben bedeutete, Zugeständnisse zu machen, Sünden zu
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