Der Tod Verhandelt Nicht
einfach nicht von der Vorstellung lösen konnte, dass sein Sohn so war wie er. Eine Vorstellung, der allein die rührenden Bemühungen von Anwältin Aliprandi, die die Fantasien ihrer naiven Mandanten stets unterstützte, eine gewisse Glaubwürdigkeit verliehen. Doch auf die beschauliche Ruhe von Sarrala war ein finsterer Schatten gefallen. Auch der Wind hatte sich gelegt, sodass nur noch das leise Rauschen des Meeres in der Ferne zu hören war, und weiter unten, am Fuße des Weinberges, eine Grille, die mit ihrem zittrigen Gesang die Nacht anrief wie eine Erlöserin.
Dabei wünschte ich mir nichts sehnlicher, als dass Sarrala das Dorf meiner Ferien blieb, der unbefleckte Ort meiner Erinnerungen, an dem die Zuneigung und Freundschaft von Virgilio und seiner Frau die Wunden heilten, die das Schicksal in meine Existenz geschlagen hatte. Und bald würde auch Aglaja diesen Platz entdecken, der bisher wie durch ein Wunder von den organisierten Horden des Massentourismus verschont geblieben war. Hier wollte ich meine Tochter wiederfinden. Nur leider passte all das nicht mit ValentinoSanna zusammen, ebenso wenig mit Ganci und einer Abrechnung, die nach Tod und Hölle stank.
»Abgesehen davon«, sagte ich, mehr um mich selbst zu beruhigen, als um Virgilio zu überzeugen, »sind wir bei der ganzen Geschichte ja nicht einmal sicher, ob Ganci der Richtige ist. Vielleicht ist er einfach nur ein alter Mann, der von Krebs und Eifersucht zerfressen wird.«
»Krebs? Wer hat denn was von Krebs gesagt?«
»Hast du nicht behauptet, dass er schlagartig gealtert ist? Jedenfalls ist Eifersucht so etwas wie der Krebs der Seele.«
Er lächelte nachsichtig und gab mir so zu verstehen, dass er nach wie vor willens war, jede Dummheit, die mir durch den Kopf ging, mit Wohlwollen aufzunehmen.
»Du scheinst ziemlich besoffen zu sein.«
»Ich bin leicht angetrunken. Aber nicht genug.«
Ich stand auf und ging in seine Wohnung, wo ich die Flasche Lagavulin aus der alten Anrichte in der Küche holte, und kehrte damit zum Tisch zurück. Als ich mir ein halbes Glas einschenkte, schob er mir sofort seines herüber. In einem Zug schüttete ich den Whisky hinunter, der in meinem Mund einen Geschmack nach Asche hinterließ.
»Ich habe diese Geschichte jetzt schon satt«, sagte ich. »Bevor ich überhaupt angefangen habe.«
»Aber du hast eben selbst gemerkt, dass hier etwas nicht stimmt.«
»Bald kommt meine Tochter hierher. Das ist alles, was zählt.«
Virgilio nahm nur winzige Schlucke von seinem Whisky und kostete jeden davon genüsslich aus. Wutentbrannt schenkte ich mir noch einmal nach und kippte den Lagavulin wieder in einem Zug hinunter.
»Dieses Arschloch wird doch nicht im Ernst glauben, dass es mich mit seinen Spielchen einschüchtern kann. Der Kerl denkt doch nicht etwa, dass ich mir von einem Schlappschwanz wie ihm die Tour vermasseln lasse?!«
Virgilio schaute mich schweigend an, um die Lippen einen amüsierten Zug. Er stand auf, ging ins Haus und kam mit einer halben angezündeten Toscano zwischen den Zähnen wieder heraus. Auf einmal ergriff auch mich eine unbezähmbare Lust zu rauchen, weshalb ich in mein Zimmer torkelte. Während ich zwischen Shirts und Socken nach einer sauberen Pfeife suchte, streifte meine Hand etwas Kühles, Hartes. Meine Beretta 8000 Cougar. Die gute alte neun Millimeter, die mir schon so oft das Leben gerettet hatte. Worauf es mir jedes Mal speiübel wurde. »Psychosomatische Schockreaktion«, nannte Dottor Mara Sabelli das, meine ehemalige Freundin und Psychologin. Die Frau, die sich, statt meine von Gott und der Welt misshandelte Seele zu heilen, einen Spaß daraus machte, sie auf den Seziertisch zu legen und nach allen Regeln ihrer bescheuerten Wissenschaft auseinanderzunehmen.
»Er wohnt nicht weit von hier, stimmt’s?«, brüllte ich Virgilio von meinem Zimmer aus zu.
»Von wem sprichst du?«, schrie er zurück.
Ich öffnete das Magazin. Es war leer. Als ich die Pistole in die Hand nahm, spürte ich, wie der kühle Griff sich in meine Hand schmiegte.
»Von diesem Riesenarschloch. Dem Gatten der Französin.«
»Die Villa ist ganz in der Nähe.«
Als ich die Pistole sinken ließ, bekam ich die Schachtel mit der Munition in die Finger. Ich schob drei Projektile ins Magazin. Dann nahm ich eine Savinelli-Pfeife aus Radica-Holz und ging wieder hinunter auf die Veranda.
Als Virgilio mich mit der Pistole in der Hand sah, guckte er mich völlig entgeistert an. Aber er sagte nichts. Ich legte die
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