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Der Tod Verhandelt Nicht

Der Tod Verhandelt Nicht

Titel: Der Tod Verhandelt Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Morchio
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Verantwortung in dieser ganzen Geschichte konfrontieren. Schließlich hatte er dreißig Jahre lang den undankbaren Job gemacht, Schuldige zu bewachen. Vielleicht hatte er jetzt einfach die Nase voll davon.
    Als Virgilio das geschmorte, mit Myrte und Wacholder gewürzte Ziegenfleisch servierte, war ich bereits fast satt, weil ich bei Brot, Käse und Salami kräftig zugelangt hatte. Die Wut, die das Gespräch mit meiner Exfrau in mir wachgerufen hatte, machte langsam einem milden, alkoholbedingten Fatalismus Platz. Die Flasche Wein war ausgetrunken, und ich fühlte eine leichte Benommenheit in mir aufsteigen. Virgilio schien dagegen einen völlig klaren Kopf zu haben, so, als hätte er nur Wasser getrunken. Die Leichtigkeit, mit der er Unmengen von Alkohol konsumierte, ohne dass man es ihm anmerkte, überraschte mich immer wieder. Um ihn betrunken zu machen, reichte Wein nicht aus, da musste man schon auf einen Grappa wie den
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zurückgreifen. Oder auf einen Lagavulin.
    Nun kam er mit einer zweiten Flasche Wein heraus.Er füllte unsere Gläser erneut bis zum Rand. Während wir uns die dunklen, nach Myrte schmeckenden Fleischstückchen auf die Teller luden, kam das Gespräch auf den Jungen, der uns die rätselhafte Nachricht im Sand hinterlassen hatte. Virgilio kannte ihn nicht, er hatte weder ihn noch den Hund je im Dorf gesehen. Den Kleidern nach musste er ein Hirte sein, aber jung, wie er war, ging er sicher noch zur Schule. Es dürfte also nicht schwierig sein, ihn ausfindig zu machen. Virgilio versprach mir, mit den Lehrerinnen der Grundschule von Tertenia zu reden. Ich fragte ihn, was ihm zu dem aus Sand gebauten Gebirge einfalle.
    »Von der Form her, würde ich sagen, ist es der Monte Ferru«, antwortete er. »Wenn sich einer verstecken will, ist das die ideale Gegend. Da gibt’s viele Grotten und Wälder, wo höchstens mal ein Hirte mit seinen Ziegen oder Jäger wie ich hinkommen. Es ist nicht einfach, jemanden zu finden, der sich dort oben versteckt hält, denn die Pfade hinauf laufen über offen liegende Flächen und sind von oben gut einsehbar.« Er schob sich ein Stück Ziegenfleisch in den Mund, ehe er fortfuhr. »Das heißt also, Sannas Sohn ist tatsächlich hier.«
    »Offensichtlich.«
    »Aber so ganz überzeugt bist du noch nicht.«
    »Drei von einem Rotzlöffel in den Sand geschriebene Wörter beweisen gar nichts. Außerdem ergibt es keinen Sinn. Warum sollte Valentino mich wissen lassen, dass er hier ist?«
    »Es könnte sein, dass nicht er den Jungen geschickt hat, sondern jemand, der Interesse daran hat, dass bekannt wird, dass Sannas Sohn sich hier aufhält.«
    »Auch, wenn es gar nicht stimmt?«
    Mein Freund schwieg. Es schien, als hätte mein Einwand in ihm Überlegungen angestoßen, die ihn nun seinerseits dazu brachten, seine Zweifel und Hypothesen gegeneinander abzuwägen. Und tatsächlich löste sich seine Zunge, nachdem er ein weiteres Glas Cannonau geleert hatte.
    »Ganci!«, platzte er heraus.
    Überrascht sah ich ihn an; ich hatte keine Ahnung, was er mir damit sagen wollte. Außerdem hatte der Wein mir eine wunderbare Gelassenheit verliehen, die fast schon an stumpfsinnige Gleichgültigkeit grenzte.
    »Hör zu«, sagte Virgilio, nun hellwach, als hätte er nicht flaschenweise Wein, sondern Amphetamine zu sich genommen. »Du reist nach Tertenia und erzählst allen, dass du Valentino Sanna suchst. Das kommt jemandem zu Ohren, der ganz genau weiß, warum Valentino hier sein könnte. Jemand, der sich nach deinem Treffen mit der Französin in die Sache reingezogen fühlt. Der vielleicht denkt, dass Gabriele Sanna dich anstelle seines Sohnes geschickt hat. Also überlegt er nicht lange und wird aktiv. Er ruft mich an und schickt den Jungen los.«
    Ich stieß einen langen Pfiff aus, der meine ganze Skepsis gegenüber diesem mentalen Kraftakt ausdrückte.
    »Du bist ja ein ganz Schneller, mein Lieber! Wieso sollte Ganci mir etwas weiszumachen versuchen, woran er nicht einmal selbst glaubt?«
    »Um dich auf die Probe zu stellen und herauszufinden, ob du bluffst.«
    »Kann sein. Aber diesen Jungen könnte auch jemand anders geschickt haben.«
    »Und wer?
    »Was weiß ich. Ich bin doch kein Hellseher.«
    Er goss wieder Wein nach. Auch die zweite Flasche stand kurz davor, ihr edles Dasein in Würde zu beenden. Zu Ende ging auch der schöne warme Junitag, den ich als Teil meiner kurzen Auszeit verbuchen wollte – einer Auszeit, die mir ein sentimentaler Geldräuber beschert hatte, der sich

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