Der Tod Verhandelt Nicht
und bei einer Baufirma in Nizza arbeitete. Und jetzt kommt’s: Sowohl Puddu als auch Canu stammten aus Tertenia.«
»Giovanni Puddu und Mario Canu … Danke, Totò! Du hast mir sehr geholfen.«
»So wie immer. Kannst dich ja bei Gelegenheit mal erkenntlich zeigen.«
Ich wollte mich schon verabschieden, als ich in seiner Stimme ein Zittern wahrnahm, eine Art dumpfes Grunzen, das wohl seine Aufgewühltheit ausdrückte.
»Ist noch was?«
»Aglaja … Wie läuft’s denn so?«
»Ich würde sagen, ganz gut. Besser, als ich es mir erträumt hätte.«
»Sie ist also von zu Hause abgehauen. Und was sagt ihre Mutter dazu?«
»Ich kann jetzt nicht sprechen. Wenn ich zurück bin, erzähle ich dir alles …«
»Okay, bei einem Pecorino und einem
caglio di capretto
.«
»Darauf kannst du dich verlassen. Versprochen ist versprochen.«
Damit verabschiedeten wir uns.
Kaum hatte ich aufgelegt, drehte sich Laura zu mir.
»Was ist mit Mario Canu?«
»Wie?« Erstaunt sah ich sie an. »Kanntest du ihn etwa?«
»Er hat in der Nachbarschaft gewohnt. Als kleines Mädchen habe ich für ihn geschwärmt. Morgens stand ich auf einem kleinen Hocker immer ewig am Fenster und habe gewartet, bis er aus dem Haus kam. Er war so unglaublich gut aussehend. Vor ein paar Jahren ist er nach Frankreich gezogen und dort nach einer Weile spurlos verschwunden. Im Dorf haben die Leute lange davon gesprochen. Seine Verwandten haben überall auf der Welt nach ihm suchen lassen, vergeblich. Sie haben große Teile ihres Grundbesitzes verkauft, um die Nachforschungen bezahlen zu können. Mein Vater hat immer gesagt, das sei rausgeworfenes Geld. Seiner Meinung nach ist er tot.«
Ich bemerkte, dass Aglajas Miene sich verfinstert hatte. Sie schaute aus dem Fenster, schien aber nur ihren eigenen düsteren Gedanken nachzuhängen und nicht das besondere Licht zu sehen, in das die Häuser von Jerzu getaucht waren, zwischen denen sich der Geländewagennun hindurchquetschte. Die Sonne tanzte auf den bunt getünchten, dicht aneinandergereihten Fassaden, bröckelnder Putz und zerborstene Steine im Erdgeschoss, unverputzte Ziegel in den höheren Etagen. Mehrere Male hätte der Pick-up fast eine der alten Frauen auf ihren Stühlen vorm Hauseingang gestreift, die einem mit ihrer traditionellen schwarzen Kleidung und ihrer unerschütterlichen Gleichmut das Gefühl vermittelten, dass hier die Zeit stehen geblieben war. Von wegen Revolution. Von wegen Utopien. So gesehen war mein klägliches Jahr 1968 nicht mehr als ein kleiner Darmwind in der Atmosphäre gewesen.
»Was ist los, Aglaja?«, fragte ich.
»Nichts«, brummte sie.
»Na los, sag schon. Irgendetwas stimmt doch nicht.«
»Es passt mir nicht, dass du allen erzählst, dass ich von zu Hause weggelaufen bin!«, rief sie aufgebracht. »Das ist meine Sache, und ich weiß echt nicht, warum das Leute wissen sollen, die ich nicht mal kenne.«
Ich sagte mir, dass sie absolut recht hatte, dennoch versuchte ich, mich zu rechtfertigen.
»Ich erzähle es nicht allen, nur den beiden eben am Telefon, denn das sind meine besten Freunde, die mir in den vergangenen Jahren am nächsten waren.«
»Das ist mir scheißegal. Ich will, dass das unter uns bleibt.«
»Nicht in dem Ton, mein Fräulein!«
»Lern du erst mal, meine Gefühle zu respektieren.«
Der Mitsubishi war inzwischen auf der Höhe der Cantina Sociale angelangt, dem Weingut, wo der
»Cannonau di Jerzu«
, einer der besten Rotweine Sardiniens,produziert wurde. Er wurde in Kartons in die halbe Welt exportiert, auf die eine kleine Nuraghen-Statue aufgedruckt war, die von Giacometti oder Paul Klee stammen könnte. Wir waren schnell in Richtung Arco di Genna Crexia unterwegs, wo die alte Staatsstraße verlief. Im Auto herrschte eine bedrückende Stille. Zu dem Streit zwischen Aglaja und mir gesellten sich Lauras Verlegenheit und unser aller Wunsch, diesen Ausflug möglichst bald zu beenden. Ich fragte mich sogar, ob ich den Krach mit Clara nicht vorzog. Aber die Antwort lautete Nein – vielleicht war die Meinungsverschiedenheit zwischen Aglaja und mir ja einfach nur eine Etappe, die wir zu bewältigen hatten. Irgendetwas von ihrer Mutter, mit dem ich mich früher oder später würde auseinandersetzen müssen, musste Aglaja schließlich haben, ebenso wie in ihr auch etwas von mir überlebt haben musste; vielleicht die Liebe zur Musik und die Entscheidung, das Risiko auf sich zu nehmen und einfach zu mir zu kommen.
Kinder sind Teil deines Herzens
, sagte
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