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Der Tod Verhandelt Nicht

Der Tod Verhandelt Nicht

Titel: Der Tod Verhandelt Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Morchio
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späte Nacht hinein hatten Clara und Giovanni mich jede Stunde angerufen. Sie zurückzurufen war das Letzte, wozu ich jetzt Lust hatte, aber ich wusste, dass ich nicht drum herumkam. Vielleicht würden mir aber ein paar Seiten von ›Der große Gatsby‹ helfen, mich der Situation zu stellen.
    Das war schon im Gefängnis so gewesen. Die Literatur war damals die beste Medizin gegen meine schlechte Laune und meine Nervosität. Wann immer ich kurz davor war, durchzudrehen, hatte ich zwei Möglichkeiten: mir ein Buch zu nehmen oder handgreiflich zu werden. Die erste Option war allerdings nicht immer diejenige, die mir besser bekam. Bestimmte Bücher, wie etwa Kafkas ›Der Prozeß‹ oder ›Die Verwandlung‹, hatten mich völlig umgehauen. Damals brachte es mir weit mehr Befriedigung, einem Mithäftling die Nase einzuschlagen, weil er mich als Muttersöhnchen tituliert hatte, nur weil ich nicht tätowiert war, mich anständiger ausdrückteals die anderen und mich beim Freigang in die Sonne setzte, um zu lesen. Nach dieser Lektion waren wir allerdings Freunde geworden, und er hatte mich sogar gebeten, ihm einige von meinen Büchern zu leihen. Am längsten von allen behielt er Anaïs Nins ›Das Delta der Venus‹; im Gefängnis gab es eben keine Alternativen für all jene, die vor Sex mit Männern zurückschreckten.
    Ich ging hinaus auf die Veranda, in der einen Hand ›Der große Gatsby‹, in der anderen das Handy. Kaum hatte ich mich hingesetzt, da ging das Höllengerät los, schrill wie ein hungriges Kind, dessen Bedürfnisse man unbedingt sofort befriedigen muss. Ich fürchtete schon, dass es meine Exfrau oder ihr Prinzgemahl wären, doch auf dem Display erschien eine mir unbekannte Nummer. Mit der Vorwahl von Tertenia.
    »Signor Pagano? Hier spricht Otello Ganci.«
    Mich traf der Schlag. Wie zum Teufel war er an meine Handynummer gekommen?
    »Ihr Freund Virgilio Loi hat mir Ihre Nummer gegeben«, fuhr der Großgrundbesitzer ohne Pause fort, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Ich habe einige Informationen für Sie und muss Ihnen etwas mitteilen, das Sie interessieren könnte. Sie dürfen es aber nicht herumerzählen – und vor allem niemandem sagen, von wem Sie die Informationen haben.«
    »Was für ein langer Vorspann. Kommen Sie zur Sache!«
    »Haben Sie je etwas von den Brüdern Canu gehört?«
    »Noch nie«, konterte ich trocken. Das war das zweite Mal, dass ich ihn anlog, um ihm wenigstens eine halbe Wahrheit entlocken zu können.
    »Am besten, Sie lassen sich alles Wichtige von Ihrem Freund erzählen. Er kennt sie gut, sicherlich besser als ich. Hinter der Falle, die man Ihnen in Porto Santoru gestellt hat, stecken nämlich sie.«
    »Hat Ihnen das Aristarco gesteckt? War er deshalb neulich bei Ihnen? Um über die Brüder mit Ihnen zu sprechen?«
    Vermutlich lächelte er jetzt, doch es drang nur das Geräusch seines Atems zu mir durch den Hörer.
    »Wir verhandeln gerade über die Abtretung eines Grundstücks.«
    »Haben die Canu-Brüder Sie deshalb aufgesucht?«
    »Was interessiert Sie das? Das sind Angelegenheiten, die Sie nichts angehen.«
    »Ich versuche nur zu verstehen, warum sie auf mich geschossen haben könnten.«
    »Sie wollen jedenfalls, dass Sie von hier verschwinden. Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass Sie nicht hätten herkommen dürfen. Hier im Dorf ist der Name Sanna nicht gut gelitten. Niemand will in diese Geschichte hineingezogen werden.«
    »Und wie haben Sie erfahren, dass diese Canus mich loswerden wollen?«
    »Ich kann keine Namen nennen. Alle hier haben Augen und Ohren, aber keiner will sich bei Nachbarn und Verwandten Feinde machen. Und hier sind wir alle Nachbarn oder Freunde, oft sogar beides.« Er verstummte für einen Augenblick. »Sie sollten gut auf Ihre Tochter aufpassen. Ihre Gegenwart macht Sie verletzbar.«
    Mir lief ein Schauer über den Rücken. EiskalterSchweiß. Trotzdem bemühte ich mich, Haltung zu bewahren.
    »Haben Sie mir nicht angeboten, das Mädchen reiten zu lassen?«, antwortete ich ihm scheinbar unbekümmert.
    »Ja, in Begleitung von Vincenzo Puddu. Sie können beruhigt sein, ihm vertraue ich voll und ganz.«
    Er sagte es voller Überzeugung. Aber der Einsatz in diesem Spiel war meine Tochter, daher konnte ich mich nicht mit einer Versicherung in Form eines Blankoschecks zufriedengeben.
    »Auch Ihre Frau hat eine Schwäche für Pferde. Können Sie ihr ebenfalls vertrauen?«
    Seine Antwort quietschte wie ein Fingernagel auf einer Wandtafel. »Lassen Sie

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