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Der Tod Verhandelt Nicht

Der Tod Verhandelt Nicht

Titel: Der Tod Verhandelt Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Morchio
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Mitleid für ihre verzweifelten Bemühungen und die ungeschickte Suche nach einer Intimität, die ihr bisher weder jemand gegeben noch von ihr verlangt hatte.
    »Ich brenne darauf, zu erfahren, was Sie jetzt alles über uns wissen«, brummte ich mehr höflich als neugierig; ich erwartete mir absolut keine Erleuchtung von ihrer Antwort.
    »Ihre Tochter muss die Frucht einer großen Liebe sein«, hauchte sie, während sie mich aufmerksam von oben bis unten musterte. »Sie wissen gar nicht, was für ein Glück Sie haben. Sie werden von Ihrer Ehefrau und Ihrer Tochter geliebt. Was will man mehr?«
    Ihre Stimme war dabei ganz tief geworden und drückte grenzenlose Traurigkeit aus.
    »Was hat Sie daran gehindert, all das auch zu bekommen?«, fragte ich leicht irritiert. »Ihr Mann hat mir erzählt, dass Sie keine Kinder wollten.«
    Sie senkte die Lider und schien eine Spur in ihren Erinnerungen zu verfolgen, schmerzhaft genug, um ihr Gesicht zu einer Grimasse zu verziehen.
    »Mein Mann redet zu viel.« Ihre Augen funkelten mich nun fast spöttisch an. »Kinder lassen einenschneller altern, Monsieur. Sie sind kleine Vampire, die  den Müttern ihre Jugend aussaugen. Man geht in  die  Breite  und bekommt einen Hängebusen.« Sie hatte sich die Hände wie Körbchen unter die Brust gelegt und wiegte sie, als würde sie zwei Orangen auf dem Wochenmarkt feilbieten. »Für euch Männer ist das etwas anderes. Euer Körper nimmt keinen Schaden …«
    »Ich sehe meine Tochter zum ersten Mal seit zehn Jahren. Meine Frau und ich leben getrennt. Jedes Mal, wenn wir telefonieren, beschimpfen und beleidigen wir uns. Sie hat mir sogar damit gedroht, mir die Carabinieri auf den Hals zu hetzen, damit sie Aglaja abholen. Also, wo soll da das Glück sein?«
    »Die Liebe nimmt manchmal schlimme Formen an.«
    »Nur nicht die Ihres Mannes. Er würde alles tun, um Sie nicht zu verlieren.«
    »Stimmt«, erwiderte sie mit einem maliziösen Lächeln. »Schon um mich für sich zu gewinnen, hat er alles Mögliche angestellt. Das hätte er nicht tun sollen.«
    »Warum hassen Sie ihn eigentlich so sehr?«
    Mit einer Geste, die ihre ganze Enttäuschung ausdrückte, steckte sie das Buch zurück in ihre Tasche. Meine Äußerung hatte ihre Erwartungen enttäuscht. Vielleicht wollte sie gar nicht über ihren Mann sprechen? Madame Ganci war nun mal nicht sonderlich bewandert in Political Correctness.
    »Was genau hätte er nie tun dürfen?«, bohrte ich nach.
    Doch sie hob nur die Schultern und wandte den Blick von mir hin zur Straße, die zwischen den Häusernentlang zum Strand führte. Wahrscheinlich musste derjenige, auf den sie wartete, dort auftauchen.
    »Was hat er so Schlimmes getan«, fuhr ich fort, »dass er nicht wenigstens ein bisschen Duldsamkeit verdient hätte? Dieser Mann liebt Sie und versucht, alles so zu ordnen, dass er Sie bestens versorgt zurücklassen kann und Sie frei sind, seinen Reichtum zu genießen.«
    »Sie wären ein perfekter Anwalt, Monsieur. Haben Sie im Gefängnis etwa Jura studiert?« Ihr Ton war sarkastisch geworden.
    »Im Gefängnis habe ich ganz andere Sachen studiert, um nicht depressiv zu werden und die Zeit im Knast heil zu überstehen.«
    »Meine Zeit im Knast wird nie enden.«
    »Entschuldigen Sie, Madame, aber Ihre lebenslange Haft macht eigentlich einen recht komfortablen Eindruck. Niemand hindert Sie daran, sich alle Freiheiten zu nehmen, die Sie haben wollen.«
    »Die einzige Freiheit, die ich mir herausnehme, besteht darin, ihm den ganzen Dreck vor die Füße zu spucken, den er mich schlucken lässt und dem Rest der Welt als bare Münze verkauft.«
    »Trösten Sie sich, lange wird es nicht mehr dauern.«
    Die Meeresbrise hatte sich gelegt, und ein schwerer, warmer Hauch durchzog die Abendluft. Die Straßenlampen waren angegangen, und die Korkeiche im Garten warf ihren langen Schatten auf den Asphalt.
    »Es wird auf jeden Fall zu lange sein. Er tut alles Menschenmögliche, um sein Ableben zu verhindern. Jede Stunde Lebenszeit, die er so gewinnt, zögert meine Genugtuung hinaus.«
    Martines Antwort hatte mich erstarren lassen. Kein Passant, kein Auto hatte bisher unser Gespräch gestört, doch auf einmal tauchte auf dem Weg vom Strand jemand auf, mit dem ich am allerwenigsten gerechnet hätte. Jene Albtraumgestalt, die mich seit zwei Tagen verfolgte. Aristarco.
    »Das ist also der Arzt, der ihm das Leben verlängern soll?«, sagte ich.
    »Eigentlich hoffe ich, dass er sein Totengräber wird«, erwiderte Martine

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