Der Tod Verhandelt Nicht
hatte das Gespräch schon beendet und schaltete das Handy wieder aus. Unter diesen Bedingungen konnte sie mich mal. Nicht zu fassen: Sie wollte Aglaja per richterlichen Beschluss zurückholen, nur damit ich nicht ein paar Tage allein mit meiner Tochter verbringen konnte. Dabei wollte ich ihr Aglaja ganz und gar nicht wegnehmen oder das Mädchen gegen sie aufhetzen, wie Clara es mit mir immer gemacht hatte.
In diesem Moment fuhr Virgilios Geländewagen mit quietschenden Reifen in die Toreinfahrt. Auf dem knirschenden Kies brachte er das Auto kurz vorm Haus zum Stehen und stieg mit dem zufriedenenGesichtsausdruck eines Menschen aus, der seine Pflicht getan hat. Auch ich hatte meine Pflicht getan, aber auf meinem Gesicht lag wohl ein ganz anderer Ausdruck.
»Was ist los?«, fragte er mich, als er die Stufen zur Veranda heraufkam.
»Nichts. Das übliche Gezänk«, antwortete ich unwillig.
»Hast du mit Clara gesprochen?«
Ich zuckte mit den Schultern und verschwand kurz ins Haus, um Buch und Handy auf dem Nachttisch abzulegen. Als ich zurückkam, sah ich ihn den Pfad durch den Weinberg entlanggehen.
»Ich gehe Laura holen«, rief er mir noch zu. »Ihre Mutter erwartet sie zum Mittagessen. Sie muss Hausaufgaben machen.«
Der kleine Hund hatte sich im Schatten des Feigenbaums ausgestreckt, gleich neben dem Brunnen, und schlummerte selig. Offensichtlich hatte er beschlossen, dass wir jetzt seine Familie waren, doch da irrte er sich gewaltig. Wir waren ganz und gar keine Familie. In ein paar Tagen würden wir nach Genua zurückkehren, wo der übliche Kleinkrieg weitergehen würde. Wer wusste schon, ob Aglaja dem furchtbaren Druck ihrer Mutter standhalten konnte und dem von Giovanni, den Clara sich zurechtformte, als ob er aus Knete wäre. Wer wusste schon, ob Aglaja mich dann überhaupt noch sehen wollte.
Eine Flut aus Licht überschwemmte die Landschaft in der sengenden Mittagshitze. Die Farben und Umrisse der Gegenstände hatten in der Ferne angefangenzu flimmern, und vom Erdboden stieg feuchtwarmer Dunst herauf. Ein Duft nach Harz und frisch gemähtem Gras.
Von der Düne am Ende des Pfades hörte ich Schreie. Ich sah Laura in ihrem schwarzen Badeanzug, die mit gesenktem Kopf aufs Haus zulief, und hinter ihr der brüllende Virgilio, der nur mit Mühe im Sand vorwärtskam, in der Hand die Badetasche seiner Tochter. Von Aglaja keine Spur. Auf dem Hof schluchzte Laura laut auf und bedeckte das tränenüberströmte Gesicht mit den Händen. Ohne mich eines Blickes zu würdigen, stieg sie in den Pick-up wie eine auf frischer Tat ertappte Diebin. Virgilio warf mir einen vernichtenden Blick zu und feuerte wütend die Tasche auf die Ladefläche des Mitsubishi.
»Wusstest du, dass deine Tochter Joints raucht?«, fragte er mich in einem Ton, der wohl der Schärfe seiner
pattada
entsprach.
Ich nickte nur.
»Meine hat noch nie geraucht!«
»Es tut mir leid«, stammelte ich, nicht sehr überzeugend.
»Mir auch, das kannst du mir glauben! Ich hoffe, du wirst mit Aglaja reden. Laura und sie werden sich jedenfalls nicht weiter treffen.«
»Findest du nicht, dass du etwas übertreibst? Ein bisschen Haschisch hat schließlich noch niemandem geschadet …«
Mein Freund schnaubte. »Du müsstest wissen, dass ich da anderer Meinung bin.«
»Das stimmt, aber das hat uns nicht daran gehindert,Freunde zu bleiben. Also, warum sollten sich Aglaja und Laura nicht mehr treffen?«
»Wir werden sehen.«
Er setzte sich in den Pick-up und zog die Tür so heftig zu, dass der Luftzug die Blätter des Hibiskus schüttelte. Dann fuhr er mit quietschenden Reifen davon, ohne die Fröhlichkeit, mit der ich ihn aus Porto Santoru hatte zurückkommen sehen. Als er an der Veranda vorbeifuhr, konnte ich hören, was er zu seiner Tochter sagte: »Bevor das deine Mutter erfährt, müssen wir beide uns mal fünf Minütchen unterhalten.«
Ich fühlte mich hundeelend. Verärgert. Aufgebracht. Und war sauer auf die ganze Welt. Auf Aglaja, die mich bei meinen besten Freunden als verantwortungslosen Trottel dastehen ließ. Auf ihre Mutter und ihre dämliche Disziplin. Denn ihrer Tochter beizubringen, wie man mit Joints umgeht, das hatte sie nicht geschafft. Auch auf Virgilio war ich sauer, wegen seiner rückschrittlichen Haudrauf-Mentalität. Selbst wenn er inzwischen Bauer war, hatte er es offensichtlich nicht geschafft, seine Wärteruniform ganz abzulegen: Er kultivierte weiterhin seine Berufung, seine Mitmenschen zu überwachen, weil er panische
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